Im Frühsommer geht es uns nicht anders als den Schumpen beim Alpauftrieb: Es zieht uns nauf auf die Berg’. Und einer der schönsten in der Region ist die Rote Flüh im Tannheimer Tal, Tirol: Hier kann man dem Alltag wunderbar „entflühen“ – und das Bergglück mit Gämsen teilen. Dass dieser Berg etwas besonderes darstellt, lässt schon der Name erahnen: Rote Flüh (Roter Fels) heißt seine Tannheimer Gipfel-Majestät wegen der Einsprengsel von rotem Kalkgestein, die bei Sonnenuntergang auffallend rötlich aufscheinen. Eine Tour auf die Flüh (Fels) gehört zu den Klassikern in den Allgäuer Alpen. Sie dauert etwa fünf Stunden und ist mittelschwer. Sie verlangt neben einer guten Wanderausrüstung schwindelfreiheit und trittsicherheit, da gegen Ende ein kleiner, wenngleich gut gesicherter, Klettersteig wartet.
Wer geübt und konditionell fit ist, schafft die Tour bis ins fortgeschrittene Alter: So gehört sie noch immer zu den Bergen, die mein Patenonkel mit 80 Jahren mindestens einmal im Jahr besteigt. Ich habe mich von dieser Begeisterung längst anstecken lassen. Die Aussicht auf das Alpenvorland und den 100 Meter unterhalb liegenden Haldensee ist wunderbar, zudem gibt es zwei sehr schöne Einkehrmöglichkeiten. Und egal ob die Rote Flüh nun 2008 oder sogar 2011 Meter hoch ist (man findet beide Angaben in der Literatur…): Sie bietet nicht nur einen abwechslungsreichen, sondern auch einen zügigen Aufstieg, weshalb er auch bei Familien mit sportlichem Nachwuchs oben in der Hitliste steht.
Los geht die Wanderung
Los geht es am Parkplatz Gimpelhaus bei Nesselwängle. Von dort aus ist die Wanderung gut ausgeschildert. Über einen breiten und meist schattigen Bergweg gehts flugs hinhauf zum Gimpelhaus (1659), wo sich bei Kaiserwetter einige Wanderer bereits ein Kaiserbier genehmigen. Kein Wunder: Für sie ist das sonnig gelegene Gimpelhaus mit der Familie Guem als Wirtsleut’ bereits Endstation. Neben einer gemütlichen Gaststub’n (60 Sitzplätzen) und dem Gastlokal für 120 Personen gibt es Übernachtungsmöglichkeiten vom Zwei-Bett-Zimmer bis hin zum Matrazenlager.
Wir dagegen haben noch einiges vor uns: Vom Gimpelhaus geht es etwa eine halbe Stunde auf breitem Wege weiter, mitten hinein in eine breite Karlandschaft, an deren Ende sich der Gipfel der Roten Flüh aufbaut. In diesem Bergkessel heißt es für Tierfreunde „Augen auf“: Gämsen tummeln sich häufig auf den Grünstücken zwischen Geröll und Felsen. Die imposanten Felsmauern sind auch für Kletterer ein Anziehungspunkt. Sie folgen dem rechten Weg unterhalb der Gimpelwand, der wegen Steinschlaggefahr nur mit Helm begangen werden sollte. Die „normalen“ Bergsteiger folgen der Markierung links zur Judenscharte. Eine kleine Pause kann an dieser Stelle nicht schaden. Denn auf dem letzten Stück bis zum Gipfel der Roten Flüh kommen die Hände zum Einsatz: Durch einen Klettersteig (mit fest installierten Drahtseilen und eingemeißelten Tritten) geht es steil hinauf. An dieser Stelle sollte man sich lieber ein wenig mehr Zeit lassen, als in Aktionismus zu verfallen. Der Gipfel läuft ja nicht davon…
Oben angekommen, entschädigt der atemberaubende Blick für alle Bemühungen. Wie eine Miniaturlandschaft bereitet sich das Tannheimer Tal mit dem grünschimmernden Haldensee vor einem aus. Quasi auf Augenhöhe schweift der Blick links über die vielen Nachbarsgipfel, deren Namen immer wieder Stoff für allerlei Diskussionen und Rätselraterei bieten und rechts über das Alpenvorland. Wenn man jetzt noch einer der Bergpieper auf dem Gipfel wäre, könnte man dem Alltag endgültig entflühen….
Unsereins muss sich dagegen beim Abstieg über das Kar noch ein wenig mühen. Doch der lässt sich zumindest versüßen. Nach dem erneuten Durchschreiten des Bergkessels gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man biegt rechts ab und genießt eine Einkehr am Gimpelhaus oder man läuft geradeaus und gönnt sich einen Abstecher zur Tannheimer Hütte (1713 m). Frisch gestärkt wird die letzte Etappe hinunter zum Parkplatz in Nesselwängle in Angriff genommen.
Wer erschöpft und glücklich aus den Wanderschuhen steigt und sich in der tiefstehenden Nachmittagssonne noch einmal umdreht, erkennt hoch oben einen Felskoloss, der auffallend rötlich aufscheint. Oder ist es nur Einbildung am Ende einer erfüllten Wanderung? Erhaben ist sie in jedem Fall, die Rote Flüh.