Alpen… äh, was bitte? Alpenwellness? Was ist das? Wir wollen wissen, ob es sich wirklich anders anfühlt, wenn man sich zwischen Almen anstrengt, auf 1000 Metern Höhe entspannt oder nach dem Saunieren in einen Bergbach steigt. Wir? Eine Fotografin und ein Autor aus Hamburg, zwei erfahrene Reisejournalisten, die ihrer Sammlung an Länderpunkten einen neuen hinzuzufügen – das Allgäu. Station 4: Das „Allgäu Resort“ ist ein Hotel mit Mission, es will dem Gast etwas mit geben…
Ein Hotelportrait von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Der Wolfgang ist schuld an meiner Lage. Dass ich jetzt hier auf dem Boden meines Wohnzimmers auf einer blauen Gymnastikmatte ächze, rücklings, und wie ein gestrandeter Käfer versuche mit der rechten Hand nach meinem linken Fuß zu greifen, während der linke Arm und das rechte Bein ausgestreckt sind. Und wechseln, linke Hand an den rechten Fuß, klar, die beiden anderen lang gemacht. 30 Einheiten. Rechts, links, links, rechts, rechts, links. Schweißperlen auf der Stirn. Mein Bauch, von dem ich bis dato dachte, dass er doch gar nicht so schlapp ist, fühlt sich nach dem absoluten Gegenteil von einem Waschbrett an – eher nach einem Waschlappen-Bauch. Was der Wolfgang damit zu tun hat? Er hat meinen Ehrgeiz geweckt. Und mir eine Aufgabe mitgegeben.
Eigentlich bin ich gar nicht so ein Couchpotatoe. Ich bin gern draußen, schwimme ganz ordentlich, laufe sogar (eher leidlich als gut) und liebe das Radfahren. Vor einem Jahr habe ich mir ein neues Rennrad gekauft, mit dem Preis eines Gebrauchtwagens. Mein Hintergedanke, wer so viel Geld ausgibt für sein Sportgerät, der benutzt es auch.
Doch das Leben schert sich nicht um strategische Spielchen, es knallt dir einfach ein paar Aufgaben vor die Nase – Familie, Freunde, Arbeit, neue Projekte. Schnell kommst du dir vor wie ein Jongleur in einem Slapstick-Film, der immer Bälle hoch wirft, bis sie ihm nach und nach um die Ohren fliegen. Anders gesagt. Mein tolles Rennrad macht vor allem stehend eine gute Figur. Ich mache das Gegenteil davon, ohne es mir einzugestehen. Bis sich mir Wolfgang Hödrich als personal coach vorstellte.
Das war vor etwa zwei Wochen. Susanne und ich besuchten das Hotel „Allgäu Resort“. Es ist ein Helios Business und Health Hotel. Doch es erfordert nicht viel Recherche, um zu erfahren, dass die Helios-Gruppe in Deutschland vor allem Kliniken betreibt, insgesamt mehr als 100. Und wenn man sich mit dem Auto – die freundliche Europcar-Mitarbeiterin am Flughafen gab uns ihr einziges Cabriolet, einen Fiat 500 mit Faltdach – dem großen Gebäude-Komplex auf einem Hügel nähert, fragt man sich tatsächlich, ob dass wirklich das Hotel sein soll, in dem man in den nächsten Tagen übernachtet.
Aber der Eindruck aus der Ferne täuscht. Klar, das Allgäu Resort ist groß, und als wir einchecken, irritiert die unaufgeräumte Eingangshalle, in der Tische rum stehen, als hätte man sie nach einem Empfang schlicht vergessen. Doch kaum haben wir unser Zimmer bezogen, gewöhnen wir uns schnell an die Dimensionen – und genießen deren Vorzüge, etwa wenn wir uns in der weitläufigen Wellness-Abteilung bewegen oder im großen Restaurant, in dem man immer einen schönen Platz für sich findet.
Neugierig geworden sind wir auf das Hotel, weil es sehr konsequent seinen Präventionsansatz darstellt, die Ferienunterkunft als Partner für die Gesundheit. Das ist eigentlich nix neues. In vielen Ländern gibt es solche Medical Wellness-Häuser, in die der Gast für eine Woche oder mehr eincheckt. Und am Anfang steht kein Begrüßungs-Cocktail, sondern ein Check-Up beim Arzt des Hauses. Es gibt mehrere Praxen im Hotel, und im nahen Krankenhauses weitere Fachkräfte, die zu Rate gezogen werden können.
In Deutschland sind nur wenige Medical Wellness-Hotels wirklich erfolgreich. In Deutschland sind Urlaub und Gesundheit zwei sehr verschiedene Dinge. Entweder man macht Ferien oder man tut etwas für seine Gesundheit. Das ist über Generationen so gelernt. Oder war eine Kur je Urlaub? Man hatte frei, man musste nicht arbeiten, stimmt, aber man genoss diese Zeit nicht. Und wenn man jemandem erzählte, dass man eine Kur mache, fragte der nicht: Toll, in welchem Hotel? Sondern nur mitleidig, weswegen. Das ist die Hypothek eines jeden Medical Wellness-Konzepts.
Und als es heißt, der Tag beginne morgens um 7:45 Uhr mit der Aqua-Fitness, da blitzt sie kurz in einem auf, die ganze Kurhotel-Historie. Man sieht sich mitten drin, in einer Gruppe von Gästen, die im Wasser turnen müssen, weil sie schon lange nicht mehr Sport getrieben haben. Das Element bietet vor allem Auftrieb. Doch personal coach Wolfgang sagt jetzt: Dass man sich keinen falschen Klischees hingeben dürfe. Es sei ganz schön anstrengend, im Wasser Sport zu treiben.
Eine Gruppe von Mercedes Benz-Führungskräften kämpft schon gegen das Wasser als wir ein wenig verspätet dazu stoßen. Wir bekommen Auftriebskörper in die Hände und beginnen nun den Pool zu boxen und gleichzeitig darin herum zu laufen. Eine verblüffend anstrengende halbe Stunde steht uns bevor, in der wir kaum Gelegenheit finden, über die Themen nachzudenken, über die wir mit dem Coach zu Beginn unseres Aufenthalts gesprochen haben: Dass immer mehr Firmen den Aufenthalt im Hotel als Incentive für gute Mitarbeiter sähen, dass moderne Unternehmen wüssten, ihnen komme eine wichtigere Rolle dabei zu, für eine ausgeglichenere Work-Life-Balance ihrer Top-Kräfte zu sorgen. Und wir prügeln mit den Daimler-Leuten ordentlich auf das Wasser ein.
Nach dem Frühstück treffen wir uns im lichtdurchfluteten Fitness-Raum des Allgäu-Resorts. Viele tolle Hightech-Geräte stehen herum, Gewichte, Yucca-Palmen, eine Sprossenwand erinnert an die Schulzeit. Aber Wolfgang hat zwei Matten ausgelegt und zwei Din-A-4-Zettel in der Hand. Mit seinen Übungen. Ihm sei es wichtig, dass der Gast auch etwas mit nach Hause nehme. Nicht die Selbstverpflichtung, täglich ins Gym zu gehen sei interessant. Sondern die Möglichkeit, durch einfache Übungen nachhaltige Effekte zu erzielen. Und gemeinsam beginnen wir, die Übungen zu üben.
Es bedarf manchmal nicht viel, das eigene Leben zu ändern. Keine großen Vorhaben, keine Visionen, keine Auszeiten. Manchmal genügt die Erkenntnis, dass man sich besser fühlen will. Und dann braucht man jemanden, der einem hilft, eine Antwort zu finden auf die Frage: Wie? Die Übungen 2 und 3 kriege ich inzwischen schon ganz gut hin. Die 4 ist die Pest. Ich arbeite weiter dran. Der Wolfgang ist schuld. Aber eigentlich will ich es doch auch.
Wenn Wellness mehr sein darf als kuschelig. Klar, man kann im Allgäu-Resort auch Entspannen, man soll das sogar, es werden Achtsamkeitsübungen angeboten, Yoga-Kurse, Tai Chi. Vor allem aber geht es um einen aktiven Selbstfindungsprozess. Ein überzeugendes Medical Wellness-Konzept.
Ein Schloss auf einem Hügel. Allerdings darf man das Hohe Schloss nur an bestimmten Tagen besichtigen. Und auch das Schnitthahnenrennen findet nur zu einem festen Termin statt. Über all das – und noch einige mehr – informiert die Website des Kurortes.
Glücklicherweise nicht die Alpen. Das Hotel liegt zwar nicht im Flachland, doch wer zum Radeln kommt, freut sich, dass man hier nicht ständig brutale Rampen zu erklimmen hat, sondern dass es mal auch schön flach dahin geht – bis zum nächsten Biergarten.