Alpen… äh, was bitte? Alpenwellness? Wir wollen wissen, ob es sich wirklich anders anfühlt, wenn man sich zwischen Almen anstrengt oder auf 1000 Metern Höhe entspannt. Wir? Eine Fotografin und ein Autor aus Hamburg, zwei Reisejournalisten, die ihrer Sammlung an Länderpunkten einen neuen hinzu fügen – das Allgäu. Station 9: In Obermaiselstein verbirgt sich in tief eingeschneiter Winterlandschaft das Hotel „Berwanger Hof“ – es ist das Haus einer bemerkenswert leidenschaftlichen Hoteliers-Familie
Ein Hotelportrait von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Das ist uns auch noch nicht passiert, dass sich uns der Charakter eines Hotels in dessen Keller zeigt. Aber da stehen wir jetzt, vor ein paar riesengroßen Waschmaschinen. Eigentlich nichts besonderes. In allen Betrieben, in denen viel gewaschen werden muss, sehen die gleich aus, überdimensionierte Maschinen mit großem Fassungsvermögen, die ständig laufen. Doch diese sind anders. Schläuche und Leitungen führen von einer Steuerungseinheit zu großen Behältern und von denen zu den Maschinen. Waschmaschinen am Tropf?
Christian Berwanger, der die Gäste seines Hauses gern in den Keller führt, beginnt zu erklären: Dass er sich die Frage gestellt habe, warum im Waschmittel eigentlich immer alle Inhaltsstoffe enthalten seien, selbst wenn man nicht immer alle brauche. Und er begann nachzuforschen und zu tüfteln. Jetzt verfügt der „Berwanger Hof“ über eine solche Dosierungsanlage. Je nach Wäscheart und Verschmutzungsgrad werden die nötigen Substanzen in die Trommeln gespült. Der Mann mit den roten Haaren lacht. Schelmisch wie ein Bub. Aber es sind große Dinge, die er hier im Kleinen bewegt.
Es ist nicht bloß Umweltbewusstsein, das hier waltet, auch Fortschrittsdenken und Kosteneffizienz. Christian Berwanger will ein modernes Haus führen. Mit seinem Blockkraftwerk ist es nahezu autonom von Energielieferungen anderer, der Pool kommt beinahe ohne Chlor aus. Und die Abwärme wird genutzt, um die Gehwege um das Haus schnee- und eisfrei zu halten. Okay, ein wenig freut es den Mann, der uns später noch sein Lieblingszimmer zeigt – die piccobello eingerichtete und aufgeräumte Werkstatt –, Trends zu setzen. Immer wieder kommen Inhaber anderer Hotels zu Besuch, und die „Technik-Führungen“ durch das Haus sind so begehrt wie die Wellness-Anwendungen.
Der Berwanger Hof ist ein Familienbetrieb der besonderen Art. Die Geschwister Cornelia und Christian leiten das Haus, hinter dessen Rezeption oft Christians Ehefrau Simone steht. Die drei entscheiden gemeinsam, sowohl über den Hotel-Alltag als auch über die Investitionen. Und da ist der Berwanger Hof wie manches gut geführte Hotel im Allgäu: Es wächst und gedeiht, und eigentlich könnte man jedes Jahr erweitern. Die Gäste fühlen sich wohl. Das spricht sich herum. Und das können sie gut im Berwanger Hof: zuhören, auf die Wünsche ihrer Gäste achten. Man könnte noch mehr Zimmer anbieten. Doch durch die zuletzt getätigten Modernisierungen hat man das Haus eher verkleinert, Zimmer wurden zusammen gelegt und so vergrößert. Der Gast wünscht mehr Platz, komfortable Bäder. Klares Design. Und gutes Essen mit einem Twist.
Selbst da hat der Berwanger Hof etwas eigenes zu bieten: Heu-Küche. Wir stehen jetzt in der neu gemachten Küche mit ihren großen Edelstahlgeräten und sehen zu wie Wolfgang Lang büschelweise Heu in einen Suppentopf wirft. Es stamme von einer Almwiese, „gar nicht weit von hier“, werde getrocknet – und dann in der Küche verwendet. Er lässt die Sauce damit ziehen, würzt Suppen mit Heu, wickelt Fleisch darin ein und backt sogar den Apfelstrudel in einem Mantel aus Heu. Suppen und Saucen müssen danach gesiebt, Fleisch und Kuchen geputzt werden. Doch das verblüffend feine Aroma lohnt die Arbeit.
Wie er darauf gekommen ist? Ach, schon immer haben die Menschen der Region auch die Aromen ihrer Blumen und Kräuter eingesetzt – es gebe ja auch Schwitzbäder mit Heu, Aufgüsse und Tees. Und im Berwanger Hof hat man den Mut gehabt, diese Tradition wieder zu beleben. Mit seinem Team habe Lang dann die Rezepte weiter entwickelt. Es verblüffe ihn selbst, wie einfach es ist, durch das Heu aus einem guten Essen ein besonderes zu machen.
Philosophen des Alltags. Das sind sie im Allgäu ja sowieso. Meist braucht man eine Weile, um sich darauf einlassen zu können, erst recht wenn man mit der Überheblichkeit des Großstädters am Modellbahnanlagenflugplatz in Memmingen aus der Maschine steigt, die Luft riecht, die Schlagzeilen sieht und die signifikant erhöhte Schnauzbartdichte. Doch es genügen ein paar Stunden an Orten wie dem Berwanger Hof, und man ist runtergekommen. Auch vom hohen Ross. Man versteht wieder, wie die Menschen hier ticken. Die Allgäuer hören zu, nicken, denken nach. Dann setzen sie um. Sie gehen ihren Weg. Von außen betrachtet, wirkt das manchmal schrullig. Doch vor Ort können einen Menschen wie die Berwangers begeistern. Und man beginnt sich auf besondere Weise mit ihnen wohl zu fühlen.
Umso mehr, wenn man im Spa eine Wellness-Anwendung bei Tatjana gebucht hat. Vegeto-Dynamik heißt die ganzheitliche Methode, die helfen soll, seelische Schlacken abzubauen. Und hätte der Städter in uns sofort angefangen zu diskutieren, ob und wo es im Körper überhaupt so etwas geben soll wie „Schlacken“, so genießt man plötzlich die unglaubliche Wohltat dieser achtsamen Berührungen, wird unterstützt und gedrückt. Und später liegt man mit einer lange vermissten Entspanntheit am Pool. Die umso höher ist, weil man weiß, dass dessen weiches Wasser mit deutlich weniger Chlor auskommt als die meisten seiner Artgenossen.
Zum Abendessen musiziert im Restaurant ein Junge mit seinem Akkordeon. Weisen der Region. In der Stadt würde man reflexartig sofort nach der Fernbedienung greifen. Doch hier wirkt das Spiel authentisch und frisch (später stellt sich heraus, es ist der Sohn von Hotel-Inhaberin Cornelia Berwanger). Man spießt mit der Gabel noch ein Stück vom zarten, aber wunderbar würzigen Rindfleisch auf. Ein Schluck Rotwein dazu. Und noch einer. Ein wundervoll weicher Barbera. So endet unsere Begegnung mit dem Berwanger Hof da, wo sie begonnen hat – im Keller. Da wurzelt das Glück dieses Hauses. Es ist eine starke Basis.
Berwanger Hof. Ein prächtiges Hotel für alle Jahreszeiten. Wir haben uns im Winter so wohl gefühlt, dass wir begeistert zusahen, wie unser Leihwagen völlig einschneite. Juhu, man muss nicht raus.
Obermaiselstein. Ein Dorf im Allgäu, knapp 950 Einwohner. Und noch weniger sind es in Oberdorf, oberhalb der Gemeinde, das einen schönen Blick hat auf das Riedberger Horn.
Hörnerdörfer. So heißen die Gemeinden in der Bergkette der Hörnergruppe, ein Zusammenschluss von Bergdörfern, die eine besonders klimafreundliche Form des Urlaubs anbieten.