Alpen… äh, was bitte? Alpenwellness? Wir wollen wissen, ob es sich wirklich anders anfühlt, wenn man sich zwischen Almen anstrengt oder auf 1000 Metern Höhe entspannt. Wir? Eine Fotografin und ein Autor aus Hamburg, zwei Reisejournalisten, die ihrer Sammlung an Länderpunkten einen neuen hinzu fügen – das Allgäu. Station 14: Als moderner Rückzugsort in den Alpen versteht sich das im 1136 Meter hohen Oberjoch gelegene „Panoramahotel“. Ein junges Haus mit jungen Gästen, das fast immer ausgebucht ist
Ein Hotelportrait von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Es gibt Momente, die überraschen mit ihrer Wucht des Anders-als-erwartet-seins. Wir haben uns für die Kräuterwanderung angemeldet. Und treffen an der Rezeption: Hans. Er ist so ein typischer Naturbursche, wie ihn nur das Leben in den Bergen hervorbringen kann: schlank, drahtig, unheimlich präsent, ein Mann von 76 Jahren, den wohl jeder eher für Anfang 60 halten dürfte. Man steht ihm gegenüber und denkt, so will ich auch altern.
Jetzt geht der Naturbursche mit uns vor die Tür. Auf dem Parkplatz fragt er uns: Was seht ihr hier? Autos. Eine asphaltierte Fläche. Eine Böschung mit viel Grün. Und in die springt der Hans jetzt hinein. Nun steht er da, graue Hose, rotes Sweatshirt, schwarze Weste, akkurater Scheitel. „Hier in den Bergen“, so Hans, „werden die Täler intensiv bewirtschaftet, die Hänge extensiv. Und in der kurzen Vegetationsphase – den letzten Schnee haben wir im Mai, den ersten im September – setzen sich nur starke Kräuter durch.“ Er rupft etwas aus. „Der Sauerampfer etwa stabilisiert mit seinen kräftigen Wurzeln die Böschung. Zudem ist er vitaminreich und gesund.“ Noch einige andere Halme werden herausgerissen, Wegerich, Zinnkraut, Rindsauge, Klappertopf. „Es gibt hier eine besonders hohe Vielfalt an Arten.“
Mehr als eine Stunde streifen wir mit Hans durch die Wiesen. Wir pflücken Hopfenklee und Knöterich, Blutwurz und Storchenschnabel, Brennnessel und Minze. Wir lernen, dass alles, was hier wächst, essbar ist. Oder eine heilende Wirkung hat. Und während wir durch die Gräser eines ganz gewöhnlichen Hochmoors bei Oberjoch schnüren, verwandelt sich die Wiese in eine Speisekammer. Wie gern würden wir auch all diese Pflanzen benennen können. Doch so sehr wir uns mühen, schon bald purzeln Namen und Blüten und Blattformen in unseren Köpfen durcheinander. Wir stopfen alle möglichen Pflanzen in das uns auf diese Exkursion mitgegebene Plastiktütchen – in der Hoffnung, dass bei der Lese die falschen ins Kröpfchen kommen.
Und die guten ins Töpfchen. Diese Wanderung dient nicht nur der Bildung, sondern der Ernährung. Koch Roman Beer erwartet uns in der Küche, um aus den Kräutern ein Süppchen zu kochen. Zusammen mit Hans sortiert er die Ernte. Dann hackt er eine Charlotte, brät sie in Öl an. Eine geachtelte Kartoffel hinzu. Salz, Zucker. Den Fond mit Weißwein aufgießen. Milch und Sahne dazu. Einmal aufkochen. Ein wenig abkühlen lassen, denn die ätherischen Öle in den Kräutern entfalten sich bei Temperaturen zwischen 40 und 60 Grad am besten. Jetzt kommt alles in den großen Mixer. Das weiße Sahnesüppchen wird zartgrün. Ein großartiger Duft breitet sich aus. Später sitzen wir da, löffeln, was wir gepflückt haben. Und für einen Moment fühlen wir uns wie Selbstversorger.
Das Panoramahotel Oberjoch beschert uns noch weitere perfekte Alpenwellness-Momente. Am Nachmittag kommen wir in das schöne Alpin Spa des vor rund drei Jahren eröffneten Hotels, bereit für eine Massage, und entscheiden uns spontan für eine Silberquarzit-Ursteinmassage. Temperierter Stein auf der Haut, die Wärme dringt bis tief in den Körper ein. Eine Anwendung, die uns auf einzigartige Weise mit den Bergen erdet. Der Quarzit kommt aus dem Pfitschtal, seit langem ein beliebtes Ziel für Kristallsammler und Mineralienforscher.
Du merkst, wie effektiv die Anwendung war, wenn du später im Spa in deiner Liege einschläfst. Einfach so, nach wenigen Minuten. Das ist ein wenig unfair gegenüber dem schön gemachten Bereich in diesem Hotel. Aber: ist halt so. Und dann wachst du auf, fühlst dich wohlig und bereit, die Welt zu verändern. Und gehst zum Abendessen. Großartig.
Es ist unsere zweite Begegnung mit Roman Beer an diesem Wochenende. Wir sitzen jetzt unter einem Geweih im Steak-Restaurant 1200 NN. Besonders für Susanne kein leichter Ort. Sie ist Vegetarierin. Und muss mitansehen wie ich die Gunst der Stunde nutze – und hier, zu Hause komme ich selten dazu, perfekt zubereitetes Fleisch genieße: eine kleine Portion Tatar vorweg, ein Steak-Paring als Hauptgang, argentinisches Angus-Steak tritt gegen Allgäuer Färsenfilet an. Der Punktsieg in dieser Battle geht eindeutig an das bayerische Fleisch.
Später am Abend, die Dunkelheit hat sich in einer Schwärze über Oberjoch gelegt, die uns fast unheimlich ist, machen wir noch einen Spaziergang. Sterne funkeln, ein Satellit zieht seine schnurgerade Bahn, an einem der Berghänge leuchtet die ferne Heimeligkeit einer Almhütte. Vor uns nun das strahlende Halbrund des Panorama-Hotels. Es ein modernes Haus, mit hellen, aufgeräumten Zimmern, wie man sie auch in manchem Stadthotel gern vorfände, dazu dezente Alpen-Zierart. Wir fühlen uns sehr wohl hier.
Beim Frühstück treffen wir Julia Lerch, eine junge Frau, von der wohl die wenigsten denken würden, dass sie die Hoteldirektorin ist. Die aber ihren Job mit einer beeindruckenden Gelassenheit ausfüllt – und voller Visionen zu sein scheint. Auf der Wiese da vorn, sie zeigt in Richtung Berg, sollen Chalets entstehen. Auch ein zusätzliches Restaurant könne sie sich vorstellen… Man spürt, dass das Konzept des Panoramahotels – Urlaub in den Alpen für eine jüngere Zielgruppe – voll aufzugehen scheint. Fast immer ausgebucht sei ihr Haus.
Noch einen Moment sitzen wir beieinander. Julia Lerch erzählt, dass sie sich vorgenommen hat, ein offenes Haus zu führen. So erwarte sie Besuch von einer Jugendgruppe, der sie das das Hotel zeigen wolle. Und als die jungen Leute kommen, gut gelaunt, die Hosen hängen so tief wie die Rucksäcke, verabschiedet sich die Hoteldirektorin von uns. Das Panoramahotel ist ein Haus mit Weitblick. Man weiß hier, dass man in den Alpen vor allem eine Aufgabe hat – diese besondere Welt zu erzählen.
Panoramahotel Oberjoch. Ein modernes Hotel an einem traditionsreichen Ort.
Oberjoch. Zu Bad Hindelang gehört das Deutschlands höchst gelegenes Dorf.
Allgäuer Alpenwellness. Die Website für weitere, besondere Wohlfühl-Angebote.
Rezept: Das Oberjoch-Kräutersüppchen
Sie benötigen:
1 kleine Tüte voller Wiesenkräuter, gut abgewaschen und ausgelesen
1 Schalotte, fein gehackt
1 Möhre, fein gehackt
1 Knoblauchzehe, fein gehackt
3 – 4 kleinere Kartoffeln, gekocht
125 ml Schlagsahne
200 ml Milch
Salz und Pfeffer
Stich Butter
frisches Brot
In einer Kasserolle bringen Sie die Butter zum Schmelzen und schwitzen darin Schalotte, Möhre und Knoblauch an. Sobald das Gemüse glänzt, kommen die tropfnassen Kräuter in den Topf. Die nur zusammen fallen lassen (das dauert nur wenige Minuten), die Kräuter dürfen nicht brutzeln. Dann mit Milch und Sahne aufgießen. Ein wenig einkochen lassen, die Kartoffeln hinzu geben und mit dem Pürierstab zerkleinern, bis eine sämig-cremige Suppe daraus wird. Man kann die Suppe – je nach Geschmack – mit etwas Brühe verlängern. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Und dann die Suppe in tiefe, vorgewärmte Teller geben oder in große Tassen. Mit Blüten und Kräutern dekorieren und mit frischem Brot servieren.