„Erholung ist ein aktiver Prozess. Der Erholungseffekt eines Aktivurlaubs ist im Vergleich zum passiven Urlaub drei- bis viermal so hoch“, sagt Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Nun habe ich wissenschaftlich bestätigt, was ich selbst an mir feststelle: Ob Radeln oder Wandern, nur wenn ich mich bewege, fühle ich mich gut. Und so geht es offensichtlich vielen Urlaubern. Man sieht immer mehr Radler, die unbewusst oder ganz gezielt ein nachhaltiges Urlaubserlebnis suchen. Denn die wissenschaftliche Erkenntnisse bescheinigen dass Bewegung Stresshormone abbaut und Endorphine aktiviert, welche für Entspannung sorgen. Umso besser, dass man erstens den aktiven Part bei der Radrunde Allgäu, dem 450 km langen Radfernweg durchs Allgäu ausleben kann. Und dass zweitens angesichts der zahlreichen qualifizierten Bed&Bike-Betrieben dem Entspannen nichts entgegen steht. Zudem liegen so viele Kultur- und Einkehrziele auf der Strecke, dass man schließlich die Qual der Wahl hat.
Wir wollen die Radrunde in fünf Tagen radeln, also pro Tag knapp 100 km mit dem Rennrad, so dass wir auch noch genügend Zeit für Besichtigungen haben und beginnen unsere Radtour wie empfohlen in Bad Wörishofen, radeln gen Westen über Ottobeuren nach Bad Wurzach und haben so die nördliche Achse abgeschlossen. Auf diesem Teil des Radfernwegs beeindruckt uns die älteste noch erhaltene Getreidemühle Bayerns, die Katzbrui-Mühle.Sie ist nicht das einzige typische bayerische Relikt, hier wächst außerdem ein wahrer Urbayer, das Bayerische Löffelkraut, welches insgesamt nur an 26 Standorten in Bayern vorkommt. Das Bayerische Löffelkraut gedeiht übrigens nur an Standorten, wo das Wasser absolut sauber ist, wir hier im Kalkquelltuffgebiet. Wer mehr darüber erfahren möchte, sollte eine Führung mitmachen, die der Verein anbietet.
Aus diesem verwunschenen Tal mit historischer Mühle, das an das geheimnisvolle und spannende Buch „Krabat“ von Ottfried Preußler erinnert, führt uns die Runde zum baulichen Gegenstück: Imposant überragt die prachtvolle Basilika Ottobeuren mit der größten barocken Klosteranlage Europas Ottobeuren. Noch heute leben, beten und arbeiten dort 18 Benediktinermönche.
In Illerbeuren überqueren wir die Iller, lassen das Schwäbische Bauernhofmuseum links liegen. Nun geht es in den baden-württembergischen Teil des Allgäus. In Leutkirch fallen außergewöhnliche Ortsnamen wie Reichenhofen, Bettelhofen, Mailand oder Herrgotts auf. Schließlich nähern wir uns Bad Wurzach, dem größten intakten Hochmoor Europas: Es ist weithin durch sichtbar, die zusammenhängende Vegetation hebt sich wohltuend von der Umgebung ab. Zudem fallen schon von Weitem große Vögel auf, die über dem Moor kreisen. In Bad Wurzach sehen wir sie dann, es sind Störche, aber auch die Gabelweihe. Im Kurhotel am Reischberg nutzen wir das Vitalium, den SPA-Bereich mit mehreren Schwimmbecken und unterschiedlich warmen Thermalwassern – tut mal ganz gut nach rund 100 km auf dem Sattel!
Am nächsten Morgen führt uns der Radfernweg vorbei an vielen Seen, am Bauernhausmuseum Wolfegg, an der hoch über dem Land thronenden Waldburg. Doch da wir sowohl das Museum mit der immer wieder sehenswerten Dauerausstellung zu den Schwabenkindern als auch die Waldburg, der Stammsitz des Fürstenhauses Waldburg kennen, radeln wir bis Wangen. In unserer Gruppe sind allerdings noch einige, die in aller Ruhe wiederkehren wollen, um dort die erste Weltkarte, in der Amerika eingezeichnet ist, zu sehen: Der Kartograph Waldseemüller fertigte sie 1507 an und nannte die neu entdeckte Landmasse America, da er der Meinung war, Amerigo Vespucci hätte diese entdeckt. Von dieser Weltkarte existiert nur noch eine, jene der Waldburg. 2001 verkaufte das Fürstenhaus Waldburg-Wolfegg die Karte, das Original ist mittlerweile in Amerika zu sehen, die Faksimile aber noch auf der Waldburg.
In Wangen allerdings ist die Meinung einhellig: Die Einkehr beim Fidelis-Bäck, der ältesten Bäckerei Deutschlands muss sein! Hier setzt man sich einfach an die freien Plätze, frische Brezen und Seelen stehen immer auf dem Tisch, den berühmten Leberkäs bestellt man ofenwarm dazu. Und noch etwas lassen wir uns nicht entgehen: Einen Blick in die historische Badstube, die noch im Original die Jahrhunderte seit dem Mittelalter unversehrt überstanden hat. Wer mehr über unsere Badekultur erfahren möchte, sollte unbedingt eine Führung mitmachen!
Diese hübsche, mittelalterliche, unter Ensemble-Schutz stehende Stadt, stimmt uns auf unser nächstes Ziel ein: In Isny besuchen wir die Prediger-Bibliothek. Sie diente vom Mittelalter bis zur Säkularisation den Predigern und Priestern zur Vorbereitung ihrer Predigten, aber auch zur wissenschaftlichen Information. In Isny hat sich diese heute einzigartige Bibliothek über die Jahrhunderte halten können, in anderen Städten wurde sie aufgelöst. Über die Kirche und einen schmalen Treppenaufgang im Turm betreten wir die Bibliothek. Dunkelheit, schmale und steile Stiegen und ein unsäglicher Geruch empfangen uns. Als ob 500 Jahre nicht mehr gelüftet wurde. Und dann fühlen wir uns direkt zurück versetzt, ahnen, woher Umberto Eco die Inspiration zur Beschreibungen der Bibliothek in „Der Name der Rose“ nahm. Inkunabeln, Lederschwarten, Leitern, Butzenglasfenster, ein massiver Tisch mit einem ebenso alten Teppich im Dämmerlicht sorgen für Gänsehaut. Herr Steinhauser, Lehrer im Ruhestand, nimmt die Spannung und klärt auf, zeigt wie die die Bibliothek in Fachbereiche gegliedert ist: Medizin, Philosophie, Theologie, Geographie. Jedes wandfüllende Regal der Turmstube beherbergt eine Wissenschaft. Wir lernen, warum es heißt, ein Buch aufschlagen: Die schweren, ledergebundenen Bücher waren mit einem Schloss versehen, deren Verschluss sich nur öffnete, wenn man mit der Faust aufs Buch schlug.
Hier gebieten Jahrhunderte alte Bücher Ehrfurcht.
Unsere nächste Rast legen wir in Maierhöfen beim Naturlandhaus Krone ein. Frank Übelhör verwöhnt uns mit Slow Food, mit wunderbar leichten Gerichten, deren Zutaten aus dem Garten und der Region kommen. Ganz begeistert sind wir von seinem naturnahen Garten. Ein Bach mäandert leise plätschernd hindurch, zum Kneippen verführt ein eigens angelegter Bereich, Liegen baumeln unter der Terrasse. Als ehemaliger Leistungssportler und heute begeisterter Radguide weiß er, was seine Radgäste wollen und hat sein kleines, aber absolut feines Hotel auf das Bedürfnis seiner sportlichen und gesundheitsorientierten Gäste ausgerichtet.
Weiter geht es, dem Radfernweg folgend nach Lindenberg. Und schon wieder ein Stopp – die Rennradler sind zunächst nicht begeistert, sie wollen Kilometer machen. Doch angesichts der gut aufbereiteten Geschichte im Deutschen Hutmuseum rund um den Pferdehandel und der daraus resultierenden Hutindustrie und dem ehemaligen Zentrum der Hutmode im Allgäu !!! sind alle begeistert. In der Pfarrkirche trägt übrigens auch Jesus einen Hut.
Ich kann´s nicht lassen und zeige einem unserer Mitfahrer noch die überaus interessante Kapelle von Genhofen. Früher nutzte der Mensch zur Fortbewegung das Pferd, daher die Hufeisen an der Tür, heute müssten Radreifen hier hängen. Wobei der Vergleich natürlich hinkt, denn geradelt wird heute in der Freizeit.
Von Scheidegg über Weiler-Simmerberg und Oberreute bis nach Stiefenhofen sind einige Anstiege auf dem Radfernweg zu bewältigen. Gut so, denn dann hat man wieder Lust einzukehren. Diesmal beim Kräuterwirt Axel Kulmus in Stiefenhofen. Auch gestandene Männer essen hier zarte Blüten und stellen fest, wie gut eine Malve schmeckt.
Im nahen Oberstaufen übernachten wir und zählen beim abendlichen Bier keine Kalorien, ganz im Kontrast zu den hier weilenden Schroth-Kurgästen. Der dritte Tag beginnt locker: Es geht zunächst nur hinab, am Großen Alpsee bei Immenstadt vorbei. Die meisten von uns können dem schönen Wetter nicht widerstehen und wir springen in den See. Das Panorama beim Schwimmen ist einfach unglaublich schön: Die Allgäuer Hochalpen im Süden im Hintergrund, davor der Mittag, im Osten der markante Gipfel des Grünten, im Westen verläuft der Naturpark Nagelfluhkette, der uns schon ab Scheidegg immer auf der Südseite begleitet hat und im Norden die Salmaser Höhe, an deren Fuß der Radweg verläuft.
Der Große Alpsee bedeutet für uns, dass wir die Hälfte des Radfernwegs auf der Radrunde Allgäu geschafft haben. Angesichts der Hochalpen, die sich vor uns auftun, wissen wir aber auch, dass nun das lockere Radeln zunächst beendet ist. Wir lassen den See hinter uns, fahren entlang kleiner Nebenstraßen hinauf nach Ofterschwang und Obermaiselstein, genießen trotz Anstrengung die Sicht auf die nahen Alpen. Schließlich führt uns die Radrunde hinab zur Iller, die wir nun erneut überqueren. Zunächst führt uns der Radweg einigermaßen eben bis zum Grünten, doch dann kommen die Anstiege nördlich des Grünten, entlang des Rottach- und Grüntensees, bis wir es schließlich über Unterjoch ins Tannheimer Tal geschafft haben.
Dieser Tag wird belohnt durch grandiose Landschaft, wir sind mitten in den Gipfelwelten, im Hochtal! Hier müssen wir unbedingt Rast machen, bevor es über Grän hinab nach Pfronten geht. Die Abfahrt ist viel zu schnell vorbei, schon ist man wieder im Allgäu. Unser nächstes Ziel heißt Nesselwang, wir übernachten im Explorer Hotel Neuschwanstein. Man merkt die Nähe zu Füssen: Zum ersten Mal auf der Radrunde Allgäu begegnen uns Asiaten im Hotel.
Der letzte Tag ist angebrochen: Wir machen uns auf, radeln entlang des Hopfensees nach Füssen, vorbei am Forggensee und genießen nochmals in vollen Zügen diese herrliche Bilderbuchlandschaft. Über Marktoberdorf und Kaufbeuren radeln wir schließlich unserem Ausgangspunkt auf dem Radfernweg entgegen. In Bad Wörishofen angekommen, machen wir es Sebastian Kneipp gleich: Schuhe aus und hinein ins Wasser!
Unsere Ausschilderung für den Radfernweg Radrunde Allgäu, das blaue Rad auf weißem Grund, hier beim Stopp in Bad Wurzach.
Alle Etappen mit Höhenprofil, Kilometerangaben, Bed&Bike-Betrieben und Service wie ÖPNV oder oder Werkstätten finden sich auf www.radrunde-allgaeu.de. Zudem ist die Übersichtskarte und das Serviceheft kostenlos erhältlich.