Sonntag nachmittag: Zwei abgekämpfte, durchnässte Gestalten schleppen sich den Fußweg von Spielmannsau in Richtung Oberstdorf entlang. Die stolzgeschwellte Brust unter der Last der Rucksäcke für die uns entgegenkommenden Wanderer und Passanten nicht zu erkennen. Diese zwei „Gestalten“, das sind ich und mein Freund David auf unserem Rückweg nach Oberstdorf nach 3 anstrengenden aber wundervollen Tagen in den Allgäuer Alpen.
Die ganze Idee für das Wochenende entstand bereits einige Monate vorher, als ich noch im Wanderfieber der vorhergegangenen Alpenüberquerung mich direkt auf die Suche nach neuen Herausforderungen und Abenteuern machte. Da kam dann der Tip meiner Großeltern mit dem Heilbronner Höhenweg gerade gelegen. Allerdings machten sich nach der Recherche im Internet und dem Durchlesen so mancher Foren erste Zweifel breit. Klettersteigausrüstung?- „Habe ich nicht…mhhh, brauche ich das wirklich?“. Meine Großeltern sind, den Fotos von damals (anno 19 hundert piependeckel) nach zu urteilen, den Weg doch auch ohne irgendwelche technische Ausrüstung (aber natürlich mit ordentlichem Schuhwerk und vernünftiger Brotzeit) gegangen. Also gut, dann schaffen wir das ja wohl auch noch! So stand also die nächste Tour im Allgäu (Oberstdorf-Einödsbach-Rappenseehütte-Kemptner Hütte-Spielmannsau-Oberstdorf) fest und da David ein spontaner Zeitgenosse ist, der für jeden Schabernack bereit ist, war auch keine Überzeugungsarbeit nötig.
Wir suchten uns also ein Wochenende im Juli aus und machten uns Freitag morgens auf den Weg. In 3 Stunden kurz von Stuttgart über die Autobahn nach Oberstdorf geflogen, Auto geparkt, Parkticket gezogen, Schuhe geschnürrt, Rucksack geschultert und festgezurrt und ab geht die Lutzi. Die erste Tagesetappe führt uns bei strahlendem Sonnenschein vom Parkplatz der Fellhornbahn durch das wunderschone Stillachtal bis hinauf zur Enzianhütte, wo wir uns erstmal auf der gemütlichen Terrasse ein lauschiges Plätzchen suchen, den Blick über das Tal schweifen lassen und uns entsprechend dem Namen der Hütte mit einem Gläschen Enzian für den weiteren Anstieg stärken. Obwohl wir uns beide als sportlich bezeichnen würden, merken wir schnell, dass Bergwandern doch auch ganz schön anstrengend ist und freuen uns über die willkommene Pause.
Der Enzian tut sein Werk und wir starten wieder mit neuer Energie und bester Laune. Der atemberaubende Blick auf die zurückgelegte Strecke und die noch vor uns liegenden Berge lassen uns allen Alltagstress vergessen und machen Lust auf mehr. David, böse Zungen würde ihn als „Stadtkind“ bezeichnen, ist hin- und weg von der Natur und der Imposanz der Berge. Für mich, als „alter Hase“ (wie ich mich lustigerweise nach lediglich einer E5-Alpenüberquerung und wenigen Ausflügen als Kind, an die ich mich größtenteils nicht einmal erinnern kann, fühle) ist das natürlich nichts Neues. Nach weiterem, kürzer als gedachtem, Anstieg erreichen wir fröhlich unser erstes Etappenziel, die Rappenseehütte.
Jetzt erst einmal raus aus den dampfenden Schuhe, Zimmer klarmachen und die verdiente Erfrischung in Form eines kühlen Bieres genießen. Nach der Dusche fühlen wir uns wie frisch geschlüpft und schlemmen noch beim Abendessen in den Allgäuer Spezialitäten. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen auf den nächsten Tag und das Herzstück unserer Tour, den Heilbronner Weg. Leider wird meine Nervosität noch etwas gesteigert, als neben uns am Tisch einer Gruppe jüngeren Mädels, die offensichtlich ebenfalls die selbe Tour wie wir gehen, die Funktion und Anwendung eines Klettersteigsets erklärt werden. „Braucht man also doch ein Klettersteigset??? Meinst du, wir schaffen das überhaupt?“ frage ich nun in leichter Panik, David. Der hat aber, als unverbesserlicher Optimist, die wunderbare Eigenschaft an sich, alles immer positiv und etwas entspannter zu sehen und schafft es mich zu beruhigen. Also ab in die Heia und fit für morgen sein! Im Matrazenlager schläft es sich (natürlich mit Ohropax) erstaunlich gut, was wohl daran liegen könnte, dass wir nur zu 10. im Raum sind.
So geht es also gut erholt los in Richtung Heilbronner Weg. Die Wegsuche und Schilderleserei erübrigte sich, da wir einfach den Massen folgen mussten. So überholten wir Leute und wurden wiederum von anderen Leuten überholt, aber es verlief sich doch recht zügig und im Laufe des Tages trafen wir nur noch die selben paar Grüppchen unterwegs. Um es kurz zu machen, der Heilbronner Weg war der Hammer und nein, man konnte das super ohne Klettersteigset machen. Natürlich musste man schwindelfrei und fit sein und die ein oder andere aufregende Passage war dabei, aber sogar wir zwei „ungeübten“ Wanderer hatten unseren Spaß und haben es geschafft. Sehr beeindruckt waren wir auch von einem Vater-Sohn-Gespann. Der Junge, geschätzte 11-12 Jahre alt und auf seiner allerersten Bergtour, ist den Weg in Manier einer Bergziege mal kurz langgeklettert. „Chapeau! “ kann man da nur sagen und wir freuten uns, als wir den Beiden mit unserer Digitalkamera am Hans-Kaiser-Steg aushelfen konnten.
Unsere Wege trennten sich dann am Abzweig zum Waltenberger Haus. Wir gingen weiter in Richtung Kemptner Hütte, jetzt ohne Kletterei dafür aber über grün blühende Gelände. Ein Highlight für mich war das Murmeltier, das David an den Hängen entdeckte, da mir auf dem E5 der Anblick dieser lustigen Tiere leider verwehrt blieb. Nach einem sehr anstrengenden aber abenteuerlichen Tag erreichten wir beinahe auf der letzten Rille die Kemptner Hütte. Jetzt wieder Hüttenroutine, aber Moment, da war doch was: keine Sonne=kein warmes Wasser. Schade, so ne warme Dusche nach 7 Stunden im Nieselregen und etlichen Höhenmetern wäre schon schön gewesen. So muss die Katzenwäsche also reichen und der faszinierende Anblick des sich immer tiefer ziehenden Nebels entschädigt uns und lässt den Gedanken an die warme Dusche schnell in Vergessenheit geraten. Eigentlich sind wir so platt, dass wir nur noch was deftiges Essen wollen und danach bei einem Bier gemütlich den Abend ausklingen lassen wollen, um uns dann in den Schlafsack zu kuscheln und unseren wohlverdienten Schlaf der Gerechten zu schlafen. Leider ist an einem Samstag im Juli auf einer Hütte, die auf dem vielbegangenen Fernwanderweg E5 liegt, doch etwas mehr los. Man könnte auch sagen, die Hütte war brechend voll! So wurde es auch nichts mit „den Abend gemütlich ausklingen lassen“ und wir sahen die einzige Möglichkeit etwas Ruhe zu finden darin, uns in das, bis dahin noch leere, Matratzenlager zu legen. Aber auch dieser einzige Hort der Ruhe wurde zerstört, als spätenstens um 10 Uhr unsere ca. 48 Bettnachbarn tönend in das Lager einfielen. Die nächtliche Erholung war dementsprechend, um es gelinde auszudrücken, suboptimal.
Nach gefühlt einer Stunde Schlaf, rafften wir uns also Sonntag morgen auf, packten unsere Rucksäcke und schnürten zum letzten Mal an diesem Wochenende unsere Wanderstiefel. Immerhin stand noch der Abstieg nach Spielmannsau und der Rückweg nach Oberstdorf auf der Agenda. Der gestaltete sich allerdings als anstrengender und weiter als gedacht. Der Abstieg durch den Sperrbachtobel war dennoch ein weiteres Schmankerl und selbst das schlechte Wetter störte uns nicht weiter. Besonders die Müdigkeit durch die wenig erholsame vorangegangen Nacht machte uns nun allerdings zu schaffen und die immer schwerer werdenden Beine, sowie der Gedanke an den Muskelkater der nächsten Tage, drückten etwas auf unsere Stimmung. Dennoch waren wir recht guter Dinge als wir den wirklich schönen Abstieg hinter uns hatten und in Spielmannsau noch ein kurzes Päuschen einlegten. Der Großteil der Tour war geschafft und wir gingen die letzten Meter an. Der Rückweg nach Oberstdorf zog sich allerdings und so kamen wir, wie bereits zu Beginn geschrieben, mit langsamen und schleppendem Gang in Oberstdorf an, überglücklich die Tour geschafft zu haben und mit vielen schönen Erinnerungen an die großartige Natur, den abenteuerlichen Weg und die Freundlichkeit der anderen Wanderer.