Wir machen uns auf den Weg, erkunden die Städte des Allgäus in Rund- und Spaziergängen, Betrachtungen und Gesprächen. Wir? Zwei erfahrene Reisejournalisten, die ihrer Sammlung an Länderpunkten einen weiteren hinzufügen – das Allgäu. Heute schlendern wir über den Markt von Wangen und treffen einige der Menschen, die den besonderen Charme dieser zauberhaften Altstadt prägen. Begleiten Sie uns…
von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Shopping und Schwätzle: auf dem Wochenmarkt von Wangen. Wir Menschen sind seltsam. Schließen wir die Augen und stellen uns vor, wo wir am liebsten einkaufen, dann sehen wir uns über einen Markt schlendern. Bunte Stände mit Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, Brot und Haushaltswaren. Am besten auf einem Kopfsteinpflaster-Platz, umgeben von Altbauten. Es ist eng, aber lebendig. Die Sonne scheint, und wenn man eine Pause braucht vom Einkaufen, dann setzt man sich in eines der Cafés, bestellt ein Eis. Und freut sich des Lebens. Einige Städte des Allgäus haben besonders schöne Märkte. Zum Beispiel Wangen.
Für uns beginnt er mit einem Blick von oben. Immer für alle Bürger geöffnet ist das Rathaus der ausnehmend hübschen Stadt. Wir steigen Stiegen durch das verwinkelte Bauwerk, dessen Ursprünge ins 15. Jahrhundert reichen, das aber im 18. Jahrhundert barock umgebaut wurde. Und dann stehen wir in einem großen Saal, dessen Dielen so krumm und dessen Wände so aus dem Lot laufen, dass sich der Raum vor unseren Augen zu verwinden scheint. Wir tänzeln an das Fenster, sehen hinab auf das Markttreiben – und weit in die Zeit. Seit 1150 gibt es den Wochenmarkt von Wangen, die Gemeinde sah darin vor allem eine Einnahmequelle, um Zölle zu erheben, Standgebühren zu verlangen. Im 13. Jahrhundert hat man den Markttag extra verlegt, vom Freitag, der unglücklicherweise ein Fastentag war, so dass sich die Marktbesucher zurück halten mussten, auf den Mittwoch. Und es gelingt: Der Markt von Wangen ist eine Institution in der Region. Seit mehr als 800 Jahren.
Auf dem Weg nach unten, treppab und quer und hier entlang, begegnen wir Michael Lang, dem Oberbürgermeister von Wangen. Äh, kurze Begrüßung zwischen dunkel vertäfelten Wänden. Seit 2001 steht der parteilose Lang an der Spitze der Gemeinde, mit überragender Mehrheit wurde er wieder gewählt. Ein Mann Ende 40, der jünger und dynamisch wirkt, wenig dem Politiker-Klischee entspricht. Er empfiehlt einen Besuch beim Fidelis-Bäck, wo es die berühmten Seelen gibt, und der historischen Badstube, weil die einen guten Einblick in die Lebenswirklichkeit des Mittelalters vermittelt. Und wir sollten auf eine Besonderheit des Marktes achten – das „Schwätzle“. Dann verabschiedet er sich, er müsse eine Rede vorbereiten.
Endlich schlendern wir über den Markt. Wir essen bei Maria Rist wahnsinnig leckere Erdbeeren (zwei Schalen fünf Euro) und prall-süße Kirschen. Und während wir Steine spucken, erzählt uns die Frau, die als Altersangabe lachend sagt: „Gestern war ich 50…“, dass sie seit 43 Jahren mit dem Stand auf den Wochenmarkt von Wangen komme. Die Gärtnerei Bodenmüller betreibt ihren Stand sogar seit 1950, inzwischen verkauft Juniorchef Werner Bodenmüller neue Produkte, so genannte „Genusspflanzen“ für Balkon und Garten – Pflücksalate, Kräuter. Und sie verkaufen sich gut. Manchmal braucht man eine Weile, um im vermeintlich Bekannten das Innovative zu erkennen.
Wir essen Quark und Käse bei Maria Schele, die stolz ist auf naturbelassenen Produkte. Seit 15 Jahren steht sie auf dem Markt, nahe dem Tor zum früheren Sauenmarkt. Anfangs mühte sie sich, mehr ins Getümmel zu kommen, sie versprach sich davon mehr Geschäft. Inzwischen aber fühlt sie sich hier richtig, ihre Stammkunden vermissen sie, wenn ihr Wagen – etwa wegen Umbauarbeiten – nur mal auf der anderen Straßenseite stehen muss.
Eine jahrzehntelange Markt-Tradition in Wangen hat auch der Haushaltswaren-Stand. Hier gibt es Bürsten und Löffel, Messer und Korkenzieher, Knoblauchpressen und Schneidebretter. Verkauft wird es inzwischen von Sahin Sömmez, der den Laden seines Papas weiter führt. Deutsch-türkische Beziehungen seit 1985.
So lange verwaltet Marktmeister Walter Hawlik schon diesen Ort. Wir wollen von ihm wissen, wie viele Stände der Markt in Wangen überhaupt hat? „70.“ Und wie viele Bewerber gibt, die gern einen Stand hätten? „60 bis 70.“ Worauf achtet er bei der Vergabe neuer Standrechte? Darauf, dass die Mischung stimmt. Dass es nicht zu viele Fisch-Stände gibt, dass es auch mal Innovationen hat. Und er erwähnt einen Gewürzhändler, der sich kürzlich beworben habe. „Wir suchen immer auch nach frischem Blut.“
Der Wochenmarkt von Wangen ist ein wunderbarer Kosmos. Mehr als drei Stunden sind wir unterwegs, führen hier mal ein Gespräch, halten da mal ein „Schwätzle“. Und genießen diesen Verlust des Zeitgefühls. Das Einkaufen bekommt dadurch eine andere Sinnlichkeit. Man probiert die Produkte, die einem angeboten werden, wird wählerischer, kehrt am Ende zum besten Käse zurück. Nicht zu billigsten. Dass einzelne Waren durchaus teurer sind, soll hier nicht verschwiegen werden. Doch ihr Geschmack überzeugt im Vergleich zu manchen Supermarkt-Produkten. Wer wählerischer ist, kauft gezielter.
Der letzte Gang führt von der Eisdiele am Marktplatz ins Fidelis-Bäck. Über deren Seelen haben wir bereits in diesem Artikel im Allgäuer Alpenblog geschrieben. Solche Momente machen den Reiz einer Reise in deutsche Regionen aus, man erkundet die Exotik eines fremden Alltags im eigenen Land. Gar nicht so weit weg von zu Hause. Aber spannend, lehrreich, ein inneres Bedürfnis bedienend.
Der traditionelle Wochenmarkt findet immer Mittwochs statt, ab 7 Uhr morgens. Weitere Infos unter diesem Link auf der Homepage der Gemeinde Wangen.