Talfeiertag: Eine Veranstaltung, die es nur im Tannheimer Tal gibt
Mein Wohnort, meine Heimat, mein Leben!
Mein Name ist Jana Schädle, bin Schülerin und wohne schon lange hier im Tannheimer Tal. Da mir mein Heimatort so gut gefällt, stelle ich nun ein paar der schönsten Impressionen des Tannheimer Tals in Tirol vor. Hierfür habe ich das Gästemagazin „Talblick“ gründlich durchforstet und teile es hier mit Euch!
Der Talfeiertag am 17. September ist eine Veranstaltung im Tannheimer Tal und erinnert daran, wie die örtlichen Schützenkompanien halfen, Napoleons Truppen in die Flucht zu schlagen. Seit fast 220 Jahren prägt der „Siebezehnt“, das Leben im Tannheimer Tal.
Es war ein Tag, der in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Nur ahnte es noch keiner. Nicht Friedrich Schiller, der an seinen Verleger Cotta einen Brief über den Fortschritt an den „Xenien“ verfasste: „Sie werden sie etwas stark gesalzen finden, aber das Volk hat auch eine scharfe Lauge verdient, und das Publicum wird sich nur um so besser dabey befinden.“ Nicht der Hofrat in Wien, der die Sanitätsverordnung „Über die Ausübung der Wundarzney“ siegelte und zur Veröffentlichung freigab. Vermutlich nicht einmal Papst Pius VI. in Rom, der sich auf die Seligsprechung des Franziskanermönchs Bevenuto Mareni vorbereitete. Am ehesten noch spürten die Korrespondenten amerikanischer Zeitungen etwas, die der ziemlich langen Abschiedsrede ihres Präsidenten George Washington lauschten, die Tage später im ganzen Land Aufsehen erregen würde.
Aber diese Rede war, der Zeitverschiebung halber, ja noch gar nicht gehalten, als sich an diesem Samstagmorgen auf der Westseite des Tannheimer Tal der Morgennebel lichtete. Das geschichtsträchtige Ereignis spielte sich ganz woanders ab: Franz Röck, Schneidermeister aus Unterhöfen und Korporal der Tannheimer Scharfschützen, war zu früher Stunde an der Spitze einer Kompanie von Soldaten auf verborgenen Seitenwegen unterwegs. Zuvor schon hatte er als Mäher mit der Sense auf dem Rücken die feindlichen Stellungen ausgekundschaftet. Die Truppen hatte ihm daraufhin der örtliche Befehlshaber persönlich anvertraut. Sein Auftrag: Den anrückenden Einheiten Napoleons am Joch bei Hindelang in den Rücken zu fallen und sie am Vormarsch auf das Tal und den Durchbruch nach Süden zu hindern. Die ergriffen ob der Gegenwehr die Flucht, hatten doch außerdem weitere tapfere Bürger des Tals, formiert in eigenen Scharfschützen- und Milizen-Kompanien, ihnen schon energisch und mit heißen Kugeln gezeigt, dass hier kein Durchkommen war.
Fast 220 Jahre und einige Generationen später sitzen in Tannheim drei Männer zusammen. Für sie ist die Geschichte des Tales und ihrer Ortschaften zum Lebensinhalt geworden. Bertl Huter, Alfons Kleiner und Sepp Tauscher sind Chronisten des Gestern und Heute ihrer Heimat. Kleiner liest den Eintrag aus der Tannheimer Pfarrchronik jener Tage vor:
„Das war ein Haufen Geld damals“, wirft Huter ein, „als man für einen Gulden ein Kalb hat kaufen können.“ „Das war auch der Wochenlohn eines Bergmanns“, ergänzt er. „Und das war damals die bestbezahlte Arbeit.“ Noch besser ist der Truppführer Röck belohnt worden. „Ob seiner Treu und Muthes“ ließ ihm Erzherzogin Elisabeth ein silbernes Besteck zukommen.
Ein Tag wie ein Fest
Über diese materiellen Auszeichnungen hinaus haben die Ereignisse jenes Tages jedoch viel größere Spuren hinterlassen. Denn die Schützen brachten ein Gelöbnis aus, als Dank für das Gelingen den 17. September künftig als Feiertag zu begehen, wozu ein Gottesdienst und eine anschließende Prozession gehören. Die Kunde davon erreichte auch den Papst. Pius VI. hat daraufhin diesem Tag „auf ewige Weltzeit“ hin einen vollkommenen Ablass verliehen.
So kommt es, dass der „Siebezehnt“ bis heute im Tannheimer Tal Feiertag ist, während der ganze Rest Österreichs zur Arbeit geht. Die mundartliche Schreibweise für „Siebzehnter“, so bestätigen alle drei Chronisten, ist korrekt – die Aussprache variiert dagegen von Gemeinde zu Gemeinde ein kleines bisschen, „weil bei aller Gemeinsamkeit die Orte seit jeher unterschiedliche Dialekte haben“. Gefeiert aber wird jedes Jahr gemeinsam in Tannheim. Denn zu jener Zeit trug die ganze Talschaft offiziell den Namen des heutigen Hauptorts.
Wie gefeiert wird, das hat sich allerdings verändert. So erinnern sich Huter, Tauscher und Kleiner daran, dass der Besuch der Feierlichkeiten stets auch Belohnung war. „Da hieß es: Kinder, wenn ihr den Sommer über brav seid und bei der Arbeit am Hof und auf dem Feld gut mithelft, dann dürft ihr mit zum Siebezehnt“, berichtet Huter. „Das war der größte Feiertag für uns Kinder, da haben wir uns das ganze Jahr über darauf gefreut“, sekundiert Tauscher.
Aber auch die Erwachsenen ließen sich das Fest nicht entgehen – zum einen aus Traditionsbewusstsein, zum anderen, weil in der armen Gegend die Anlässe für eine Feier eher selten waren. So erzählt Sepp Tauscher: „Da gab es einmal einen richtig verregneten Sommer. Wir hatten noch keine Handvoll Grummet in der Scheune. Dann kam der erste schöne Tag – das war der Siebezehnt. Da hat mein Vater gesagt: Nein, wir gehen nicht aufs Feld, wir gehen auf Tannheim zum Feiertag. Am Tag danach hat’s dann wieder geregnet.“
Besonders verlockend für die Kinder: Damals gab es nicht nur ein Festzelt wie heute, sondern auch einen Markt mit allerlei verlockenden Angeboten. Am meisten aber ist allen dreien dann doch eines in Erinnerung geblieben: „Würstel und Chabeso“, wobei das zweite Wort eine besondere Limonade bezeichnete. Sie muss wirklich außergewöhnlich gewesen sein, denn die Gesichter der drei betagten Herren (85, 75 und 74 Jahre) strahlen noch immer, wenn sie davon berichten.
Dass die Familie zusammen zum Essen weggegangen ist und daheim der Herd kalt blieb, war zwar selten im Tannheimer Tal, aber am Feiertag üblich. Das wussten auch die Wirte im Hauptort, die sich darum bemühten, immer eine der örtlichen Musikkapellen zum Aufspielen im Gasthof zu gewinnen, nachdem deren Teilnahme an der Prozession vorbei war. „Da sind immer alle Kapellen des Tales mitmarschiert“, berichtet Bertl Huter, „aber um eine haben sich alle gerissen: die Schattwalder.“ Die seien trinkfest und gut eingespielt gewesen und seien oft bis nach Mitternacht geblieben, um dann mit klingendem Spiel nach Hause zu marschieren.
Huter, selbst seit 25 Jahren als Fähnrich seiner Schützen im Festzug ganz vorn dabei, macht zudem darauf aufmerksam, dass – dem Gelöbnis und der Tradition gemäß – der Siebezehnt grundsätzlich ein weltlicher Feiertag ist. „Die Erinnerung gilt der Leistung unserer Schützenkompanien“, sagt er. „Das stand früher viel stärker im Mittelpunkt als heute.“ Er sieht die gewandelte Einstellung dem Militärischen gegenüber als Grund, warum sich im Lauf der Zeit, vor allem aber nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der Talfeiertag zu einem eher spirituellen Ereignis gewandelt hat. „Immerhin ist es gelungen, die Tendenzen abzuwehren, den Siebezehnt ganz abzuschaffen oder auf den folgenden Sonntag zu verschieben“, freut sich Huter. „Das kostet zwar alle, die außerhalb arbeiten, einen Urlaubstag, aber das sollte uns die Exklusivität des Feiertags wert sein“, ergänzt Tauscher, der darin auch ein einzigartiges Erlebnis für Gäste und Besucher sieht. „So etwas gibt es reihum kein zweites Mal.“
Gloria Victoria
Historiker Kleiner, der Älteste am Tisch, bekräftigt die Rolle des zivilen Feiertags mit eigenen Kindheitserinnerungen: „Ich sehe ihn immer noch vor mir, den Gendarmerie-Kommandanten, der mit gezogenem Säbel dem Umzug voranmarschiert ist“, berichtet er. „Dahinter kam dann die Draisine der Feuerwehr, die man heute noch im Museum, dem sogenannten „Heimatmuseum“ sehen kann, und dann die Musik.“ Nicht ganz klären kann das Trio allerdings die Frage, ob es die Tradition eines gemeinsamen Feiertags-Aufweckens für das Ganze Tal mit Böllern morgens um fünf tatsächlich gegeben hat.
Immerhin reiht sich ein solcher Schützenfeiertag in eine lange Geschichte des Tiroler Brauchtums ein. Wie das „Gelöbnis zum Heiligsten Herzen Jesu“, mit dem das Land seinen Widerstand gegen die französischen Besatzungstruppen bekräftigte, hat er seine Wurzeln in napoleonischer Zeit. Und er steht damit in der historischen Folge jenes Erlasses von Kaiser Maximilian I., der den Tirolern die Freiheit gab, Gewehre zu tragen. „Die Männer damals haben alle das Schießen trainiert“, sagt Huter. „Meistens haben sie dafür auf Scheiben geschossen; daraus hat sich später der Schützensport entwickelt.“ Alle drei können sich daran erinnern, wie sie als Buben in der Schießbahn den „Zieler“ gegeben haben, jenen Anzeiger vorne unter den Scheiben, die nach dem Schuss mit Tafeln oder Fähnchen die Treffer und ihre Lage signalisierten. „Wir haben damals sogar noch Patronen mit Pulver gefüllt“, erinnert sich Chronist Kleiner.
Auch das nachmittägliche Bühnenstück im „Bräu“ ist ihm gut im Gedächtnis geblieben. „Das war Volkstheater, wie es leibt und lebt.“ Neben immer wieder neuen Aufführungen des Andreas-Hofer-Spiels habe ihn eine Aufführung nachhaltig berührt: ein Stück über einen Kometen, der über die Erde hereinbricht. Besonders ein Detail habe sich unauslöschlich eingebrannt – „die Josefa Wotzer, die unter einem Tisch saß und herauskrähte ,Gloria Victoria in saecula pix‘“.
Womit bewiesen wäre, dass der „Siebezehnt“ nicht nur ein Tag für das Geschichtsbuch ist, sondern auch voller Ereignisse für die Geschichtenbücher.