Oft werde ich gefragt, was mich „Stoisuecher“ oder „Stoiklopfer“ antreibt, was diese Leidenschaft des Sammelns seltener Mineralien, Gesteine und Fossilien ganz speziell im Allgäu ausmacht. Um es zu verstehen muss man es selber einmal ausprobiert haben. Denn es ist die Suche, die Anstrengung, ein kleiner Hauch Risiko, die Natur und vor allem das Glück des Findens was es ausmacht. Viele Überreste aus Millionen Jahren Allgäuer Erdgeschichte warten nämlich im Boden noch auf ihre Entdeckung – zum Beispiel am Grünten, dem Wächter des Allgäus…..
Früh morgens am Fuße des Grüntens – dem Wächter des Allgäus
Sehr zeitig am Morgen brechen wir auf um den wundervoll sonnigen Tag zu nutzen. Giuseppe Gulisano und ich haben uns für heute den Grünten vorgenommen. Ein durchaus geschichtsträchtiger Berg: 1854 erbaute hier der „Alpkönig“ Carl Hirnbein mit dem Grüntenhaus das erste „Berghotel“ im Allgäu und legte somit den Grundstein für den Tourismus der Region. Ebenfalls unweit von Burgberg befindet sich zudem die Erzgruben Erlebniswelt. Dieses Museum widmet sich ganz den Themen Geologie und Bergbau, denn bereits im Mittelalter grub man am Grünten nach wertvollem Erzkalk zur Gewinnung von Eisen.
Los geht´s von Burgberg aus mit einem ersten kurzen Abstecher in der Erzgruben Erlebniswelt. Dort sind auch Reste eines „Grubenhunts“ ausgestellt, einst ein wichtiges Transportmittel in den Stollen am Grünten
In der Erzgruben Erlebniswelt bekommen wir einen kleinen Vorgeschmack auf das, was uns heute erwarten kann. Ganz besonders hat es uns die Geologie-Hütte angetan. Dort sind viele verschiedene Fossilien vom Grünten ausgestellt: Haifischzähne, Ammoniten, Schnecken, Austern und, und, und….ein richtiges Sammelsurium aus urzeitlichem Meeresgetier. Wären wir im Eozän vor 50 Millionen Jahren an genau dieser Stelle gestanden, hätten wir ein Boot gebraucht um uns weiter zu bewegen. Heute reichen uns Bergstiefel und Wanderstöcke. An saftig grünen Wiesen und grasenden Kühen vorbei geht es langsam bergauf Richtung Schwandalpe. Vor drei Jahren wurde der Forstweg, auf dem wir unterwegs sind, modernisiert. Die Felswand an der Seite ist noch nicht vermoost und bei genauerem Hinsehen erkennen wir unendlich viele Nummuliten im Gestein. Diese kreisrunden, großwüchsigen Einzeller sehen aus wie kleine Münzen. Daher auch ihr Name, denn „nummulus“ war bei den Römern das „Geldstückchen“. Mein Blick fällt auf einen etwas orangefarbenen Fleck im sonst eher grauen Gestein. Ein großer Seeigel, wie gerade eben erst im Museum in einer Vitrine gesehen, liegt hier versteinert im Fels.
Das Ausstellungsstück im Museum und ein Seeigel der gleichen Gattung („Conoclypus“) in einer Felswand am Weg
Wir bewegen uns tiefer hinein in die Erdgeschichte des Grüntens. Der Faktor „Zeit“ bekommt unter geologischen Gesichtspunkten einen ganz neuen Stellenwert. Es brauchte Ewigkeiten, bis die Allgäuer Berge ihr heutiges Aussehen bekamen. Momentaufnahmen im Gestein lassen uns nun an deren Entstehungsgeschichte teilhaben.
Wir lassen die Schwandalpe hinter uns folgen in östlicher Richtung dem Wanderweg. Gerade jetzt im Frühjahr, kurz nachdem der letzte Schnee in den Höhenlagen geschmolzen und die Vegetation noch sehr niedrig ist, finden sich Überreste aus der Urzeit direkt am Weg. Dort, wo Schuttfächer gequert werden müssen oder durch den Wegebau der Fels im Untergrund freigelegt wurde, ist eine Suche meist von Erfolg gekrönt. Ganz unbewusst machen wir dabei einen Zeitsprung von nahezu 25 Millionen Jahren: vom Eozän vor 50 Millionen Jahren geht es in die Oberkreide vor 75 Millionen Jahren und damit vom Zeitalter der Säugetiere in die Zeit, als Dinosaurier noch über die Erde spazierten.
Ein Aufschluss aus der Oberkreide – eine Zeitreise von mehreren Millionen Jahren auf wenigen Metern entlang des Wegs
Mit unserem Zeitsprung hätte sich auch das damalige Fortbewegungsmittel nicht geändert. Das Echolot unseres Bootes hätte lediglich einen weitaus tiefer liegenden Meeresboden angezeigt als an der selben Stelle vor 50 Millionen Jahren. Die nun am Wegrand dominierenden Drusbergschichten sind die Hinterlassenschaften eines schlammigen Meeresbodens. Hier und da lassen sich dickere Kalkbänke erkennen und darauf eigenartige Gebilde. „Das sind Reste von Austern, die hier teilweise massenhaft auftreten“, weiß Giuseppe. Kein Wunder, dass Experten daher auch von ganzen „Austern-Bänken“ sprechen.
Eine Gesteinsschicht voller Austern direkt am Weg
An einer Schutthalde stoppen wir und nehmen den kargen Boden genauer unter die Lupe. „Und hier soll es noch mehr geben?“, frage ich mich. „Augen auf“, meint Giuseppe. Man braucht schon ein besonders geschultes Auge um einen bloßen Kiesel von einer Versteinerung unterscheiden zu können. Es dauert aber nicht lange, dann ertönt schon ein „Ich hab was“. Zwischen dunkelgrauem Kies und Schutt liegt halb in den lehmigen Boden eingebettet ein kleiner runder Seeigel.
Nicht leicht zu erkennen – ein kleiner Seeigel zwischen Kies und Schutt
Es dauert nicht lange, da entdecke ich einen Brachiopoden. Diese, an Muscheln erinnernden Tiere klammerten sich mit einem Stiel am Meeresboden fest, öffneten ihre beiden Klappen und flitrierten das Wasser nach Nährstoffen. Nach dem Ableben des Tieres blieben, anders als bei Muscheln, beide Schalenklappen zusammen. Eingebettet in den feinen Schlick des Meeresbodens versteinerte der Brachiopode im Laufe der Jahrmillionen bis die Kräfte der Erosion ihn wieder ans Tageslicht brachten.
Ein fossiler Brachiopode – klein aber oho
Neben all den Fossilfunden genießen wir auch die wunderbare Aussicht auf die Allgäuer Alpen und das obere Illertal. Gerne wäre ich jetzt für eine Abkühlung am richtigen Meer. Die Temperaturen haben mittlerweile ihr Tagesmaximum erreicht und die Sonne bringt uns ganz schön ins Schwitzen. Aber nicht nur uns. Auch den letzten Schneeresten des vergangenen Winters läuft buchstäblich das Wasser hinunter.
Ein grandioser Ausblick Richtung Süden ins obere Illertal und die Allgäuer Alpen
Eine knappe dreiviertel Stunde später erreichen wir den Gipfel des Grüntens. Hier oben am Jägerdenkmal genießen wir die Aussicht und lassen den Blick in die Ferne schweifen. An einem fast wolkenlosen Tag wie heute sieht man sogar den Bodensee sehr deutlich. Nach einer ausgiebigen Rast treten wir den Rückweg an. Die Zeit drängt nicht und so kehren wir auf der Schwandalpe kurzerhand noch ein. Eine deftige Brotzeit und ein kühles Radler sind das i-Tüpfelchen an diesem gelungenen Tag und der Reise in die Urzeit am Grünten – dem Wächter des Allgäus.
Infos zur Erzgruben Erlebniswelt gibt es unter www.erzgruben.de
Der Online-Auftritt der Schwandalpe: www.schwandalpe.de