Jahrhunderte alter Gnadenort am Jakobsweg: Zuflucht für Mütter
Die älteste Votivtafel stammt von 1696. Sie hing an einer großen Tanne oberhalb des Ettwieser Weihers bei Marktoberdorf. Später errichteten Pilger einen Bildstock. 1881 wurde die erste Kapelle gebaut. 1986 erhielt die Kindle-Kapelle ein Kupferdach. Heute ist sie ein beliebter Abstecher am Jakobsweg München-Bodensee. Ob bei Einheimischen, Urlaubern oder Weit-Wanderern: Die Verehrung ist ungebrochen.
- Das berühmte Logo: die Jakobsmuschel weist in die richtige Richtung. (Foto: Jakobspilgerweggemeinschaft Augsburg)
Am Anfang der Geschichte steht eine Legende: Um das Jahr 44 ließ Kaiser Herodes Agrippa den Apostel Jakobus den Älteren enthaupten. Engel brachten den Leichnam in einem Boot über das Mittelmeer und durch die Straße von Gibraltar in den Hafen von Iria, das heutige Pedròn in Galicien. Als das Boot mit den Gebeinen des heiligen Jakob in den Hafen einlief, sprengte ein frommer Adeliger hocherfreut auf seinem Pferd ins Wasser, dem Kahn entgegen. Nur ein Wunder bewahrte beide vor dem Ertrinken. Als Ross und Reiter das rettende Ufer erreichten, waren sie über und über mit Muscheln bedeckt. Mit genau den Muscheln, die man heute Jakobsmuscheln nennt.
- Lädt zum Baden: der Ettwieser Weiher. (Foto: Förderverein Römerbad e.V.)
Der 25. Juli ist Namenstag des Heiligen Jakobus. Wenn er auf einen Sonntag fällt, ist Heiliges Jahr in Santiago. Und in der Kathedrale wird die Heilige Pforte geöffnet. Die Gebeine des Jakobus wurden aus dem von Piraten bedrohten Pedròn ins sichere Landesinnere gebracht. Erst im 9. Jhdt. wurden sie in einer römischen Nekropole in Santiago de Compostela entdeckt. Der Apostel selbst setzte sich bei der berühmten Schlacht von Clavijo in voller Rüstung an die Spitze des christlichen Heeres und half, die Mauren zu besiegen. Daraufhin errichtete man ihm dankbar die Kathedrale von Santiago – als Pilgerkirche konzipiert. Und eine Wallfahrt kam in Gang, die weltweit einzigartig und bis heute – in über 1000 Jahren – niemals abgerissen ist.
- Die Pfarrkirche St. Martin und das Kurfürstliche Schloss – heute Musikakademie. (Foto: Sabrina Schindzielorz)
Marktoberdorf: Station auf dem Jakobsweg
Jetzt sind sie also wieder tagtäglich unterwegs, die Pilger und Fernwanderer auf dem beliebten Münchner Jakobsweg. Mit großen Rucksäcken bepackt, oft mit klackenden Stöcken, stiefeln sie zielstrebig auf der langgestreckten Meichelbeckstraße in Richtung Ettwieser Weiher. Immer der Jakobsmuschel nach. Marktoberdorf ist eine wichtige Station auf dem Jakobsweg.
- Marktoberdorf – das Etappenziel: am Ende der Lindenallee das Schloss, die Kirche und die Treppe in die Stadt. (Foto: Sabrina Schindzielorz)
München war zur Zeit der ersten Pilger nur eine kleine Siedlung „Zu den Mönchen“. Eine kleine Kapelle außerhalb der Stadt diente als Sammelpunkt jener Pilger, die aus Zentral- und Osteuropa kamen, um weiter nach Santiago de Compostela zu ziehen. Von München aus ging es über Marktoberdorf an den Bodensee und von dort durch die Schweiz, bis die Pilger endlich über die Via Podensiensis das Zentralmassiv in Frankreich durchquerten.
- Ein Flurkreuz im Schatten der alten Linden. (Foto: Stadt Marktoberdorf)
Gut markiert schlängelt sich der Weg durch üppig grüne Wiesen und auf schattigen Waldwegen zum 1055 m hohen Auerberg hinauf, mit grandiosem Panoramablick auf die Alpenkette. Auf dem „Römerweg“ geht es, vorbei an antiken Wallanlagen, hinunter nach Stötten und Bertoldshofen.
- Das Naturdenkmal Lindenallee: Herzlich Willkommen in Marktoberdorf. (Foto: Stadt Marktoberdorf)
Marktoberdorf ist Etappenziel. Ein schöneres, würdigeres Ankommen auf Schusters Rappen als durch die zwei Kilometer lange kurfürstliche Lindenallee des Clemens Wenzeslaus ist nicht denkbar. Zusammen mit dem Kurfürstlichen Schloss, heute Sitz der Bayerischen Musikakademie, ist sie das Wahrzeichen der Kreisstadt des Ostallgäus.
- Die Lindenallee von Kurfürst und Fürstbischof Clemens Wenzeslaus. (Foto: Stadt Marktoberdorf)
Wie es sich für ein Etappenziel auf dem Jakobsweg gehört, weisen die gedruckten Pilgerführer neben einladenden Gastwirtschaften und Pensionen hier auch eine offizielle Pilgerherberge aus: „Elfies Pilgerquartier“ an der Reichhofstraße 4 (Tel. 08342/7019718). Elfie und ihr Mann waren selbst vielfach auf Jakobswegen unterwegs. So geht der Gesprächsstoff nicht aus, wenn die Pilger erstmal die Schuhe ausgezogen und eine heiße Dusche genommen haben.
- Die Pfarrkirche von Leuterschach. (Foto: Stefan Schmid)
Einer der Tipps von Pilgern für Pilger lautet, wenn man es sich zeitlich leisten kann und nicht den kürzesten Weg über Oberthingau wählt, dann empfiehlt es sich, von Marktoberdorf in Richtung Kempten die Variante über Wald und Görisried zu wählen ( 21,7 km / 5.30 h). Weil es unterwegs zwei Besonderheiten gibt: die Kindle-Kapelle, gleich hinter dem Ortsschild – am Ettwieser Weiher. Und dann eine Hängebrücke über die Wertach, wie man sie im Himalaya vermutet, aber nicht im Ostallgäu.
- Der Kindle-Engel weist Pilgern den Weg. (Foto: Stadt Marktoberdorf)
Die Kindle-Kapelle: legendärer Wallfahrtsort
Bedrängte Mütter beten in der abgelegenen Kindle-Kapelle für die Gesundheit ihrer Kinder, um gesunde Heimkehr aus dem Ferienlager oder von einer Reise bzw. um die Erfüllung ihres Kinderwunsches oder gute Noten beim Abitur.
Die hinterlegten Votivgaben sind anrührend: Dietzel, Hemdchen, Strampelhoserl, Lätzchen, winzige Schuhe. Von alters her werden gebrauchte Kleidungsstücke zur Muttergottes gebracht, die Bezug zu einem kranken Körperteil haben.
Die Kerze in der Hand: der geschnitzte Kindle-Engel. (Foto: Stadt Marktoberdorf)
Der Kindle-Engel weist Wanderern auf dem Jakobsweg München-Bodensee den Weg. Der Stamm einer Tanne und eine kleine Kapelle als legendärer Wallfahrtsort. Eine Legende berichtet, dass sich vor Jahrhunderten ein Kind aus Fechsen im Ettwieser Wald verirrt hatte und unter der Tanne erschöpft einschlief. Im Traum sei ihm dann das Jesuskind erschienen, das ihm den Heimweg wies.
- Der Kindle-Baum mit typischen Devotionalien. (Foto: Sabrina Schindzielorz)
Die Geschichte gab den Anstoß dafür, dass die vielfach verästelte Tanne zu einer anheimelnden Wallfahrtsstätte wurde, die der „Heimatverein Marktoberdorf“ betreut. Speziell finden Gläubige hierher, denen ihre Kinder Sorgen machen. Kleine oder große. Bis heute hängen die Menschen aus Stecken gefertigte Minikreuze, Briefe, Rosenkränze oder buntes Kinderg‘wand an die „Kindle-Tanne“, die es übrigens als Replik und bemerkenswertes Symbol für Volksfrömmigkeit und Volkskultur im Stadtmuseum noch einmal gibt.
- Stille Einkehr beim „Kindle“. (Foto: Sabrina Schindzielorz)
Sicher ist die Kindle-Kapelle mit dem Jesus-Knaben als Altarbild ein Ausdruck von Volksfrömmigkeit. Aber passt ein Baumheiligtum in die aufgeklärte Zeit? Widerspricht es nicht christlichem Glauben, Wäschestücke zu opfern? Stadtpfarrer Wolfgang Schilling aus Marktoberdorf ist anderer Ansicht. Für ihn transportieren Legenden immer auch Wahrheit.
„Hoch im Forst, wo die von Wind und Regen zerzausten Kinderhemdchen an einem Tannenbaum von Not und Zuversicht erzählen“, so schrieb ein damaliger Ministrant 1925 in der Wochenbeilage „Heimat und Welt“ des „Oberdorfer Landboten“ über die feierliche Weihe der ersten Kapelle. Bis heute ist „das Kindle“ Ziel von Wallfahrten und Bittprozessionen.
Pfarrer Schilling ist überzeugt davon, dass die Kindle-Wallfahrt weiter ihren Platz im christlichen Leben von Marktoberdorf haben wird. Auch als Station am Jakobsweg. Genauso wie die Verehrung der Muttergottes.
- Allgegenwärtiges Logo: die Jakobsmuschel. (Foto: Gemeinde Wald)
Leicht wackelig: der Hängesteg über die Wertach
Über den Ellenberg erreichen die Pilger die Ortschaft Wald. In der Pfarrkirche St. Nikolaus gibt es einen schönen Stempel für den Pilgerpass. Malerisch der Abstieg ins Wertachtal, wo Knabenkraut, Frauenschuh und Türkenbund Rückzugsplätze gefunden haben. Nach acht Kilometern durch wunderschön üppig blühende Wiesen wird bei Kaltenbrunn der „Hängesteg“ erreicht, der an Nepal oder Tibet erinnert, und doch nur eine elegante Möglichkeit ist, auf direktem, über 30 Meter hin gebrettertem Weg, leicht schwankend, das Gemeindegebiet von Görisried zu erreichen.
- Schnitzereien am Wegrand weisen den Weg nach Wald. (Foto: Gemeinde Wald)
Der Weg ist das Ziel. Steter Begleiter sowie Orientierungspunkt ist die gelbe Muschel auf blauem Hintergrund. Das gilt für Pilger und Wanderer. Die Jakobsweg-Route von Marktoberdorf über Wald und Görisried nach Kempten ist deutlich weiter, als die Direttissima durch Oberthingau. Wer die Ruhe sucht, besonders schöne Abschnitte, Besonderheiten am Weg, der wird die längere Alternative wählen, die allerdings für Radwanderer nicht geeignet ist: die Hängebrücke über die Wertach ist einfach viel zu wackelig; und das gleich dahinter beginnende Naturschutzgebiet Wertachaue ist für Radfahrer gesperrt.
- Gebrettert, gebogen, leicht schwankend: der berühmte Hängesteg über die Wertach. (Foto: Gemeinde Görisried)
Übrigens: Auskünfte jeder Art, Hilfe bei der Quartiersuche und einen speziellen Pilgerstempel bekommen die Wallfahrer auch im Touristikbüro Marktoberdorf. Das befindet sich zentral im Rathaus am Richard-Wengenmeier-Platz. Ein paar Stufen geht’s hoch. Und dann wenn man reinkommt, unten links.
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- Lädt zum Gebet ein: die Pfarrkirche von Bertoldshofen. (Foto: Stadt Marktoberdorf)