Als Lehrer Hempel * seinen Schülern der 9 Klasse im Religionsunterricht von eine Challenge erzählte, ahnte noch keiner, was genau auf die Kids zukam. Herr Hempel hatte die Aktion von langer Hand geplant. Es galt Eltern zu überzeugen, dass ihre Kinder alt genug wären, mal eine Woche ohne Eltern auszukommen. Rechtliches musste abgeklärt werden, eine volljährige Betreuungsperson musste die Gruppe begleiten, und nicht zuletzt sollte die Challenge einem „Sozialen Zweck“ dienen.
Ihr wisst schon, was Challenge heißt? Dieses Wort bedeutet „Herausforderung“. Und so etwas war es dann auch, zumindest für die Schüler. Für die drei Freundinnen Kelly *, Sarah * und Josi * war von Anfang an klar, dass sie zusammenbleiben wollten, um sich gemeinsam in das Abendteuer zu stürzen. Doch wohin sollte die Reise gehen? Mit dem Fahrrad über die Berge – nein das war es nicht. Und so wie die andere Gruppe von Pfarrhof zu Pfarrhof zu tingeln – das konnte sich von den drei Mädels keine vorstellen. Warum suchen wir uns nicht einen Bio Bauernhof aus?, fragte schließlich Kelly. Auf einem Bauernhof gibt es immer was zu tun. Und wenn wir uns um die Tiere kümmern, dann ist das doch auch sozial? Die Idee schlug ein wie der Blitz.
Kelly als Ideengeberin wurde dazu verdonnert im Internet zu recherchieren, und bei Bio Bauernhöfen anzurufen. Ganz so einfach wie sich das die drei Damen vorstellten, war es dann doch nicht. Auf den meisten Höfen waren keine freien Zimmer vorhanden, und viele Bauern wollten so was auch gar nicht. Es gab viele Ausreden. Am Ende war der Berghof Kinker im Allgäu der Einzige, der zustimmte. Die Gruppe hatte es den Überredungskünsten von Kelly zu verdanken, dass Bäuerin Irmi und Bauer Franz weich wurden.
Kaum Geld, viel Arbeit
In einem Gartenhaus sollten sie schlafen, die Sanitären Einrichtungen befanden sich im Technikraum beim Kuhstall. Handy und Internet erlaubte der Bauer nur morgens und abends. Und wie die Mädels später herausfanden, landeten sie zudem bei den „Strengsten Eltern der Welt“. Der Startschuß für die Challenge fiel am 15. Juli. Jede Gruppe bekam von Lehrer Hempel 60 Euro in die Hand gedrückt. Mit diesem Kapital musste die Bahnreise finanziert werden, Persönliche „Luxusgüter“, und eventuell noch eine Anschubfinanzierung für das Soziale Projekt.
Die Reise von Würzburg verlief problemlos. Am Bahnhof in Füssen erwartete die schwerbepackten Schüler die Tochter der Bauersfamilie, Kathrin. Als die schweren Rucksäcke im Auto verstaut waren, ging es nach Ussenburg auf den Bauernhof. Irmi und Franz warteten schon gespannt auf die Ankömmlinge. Einzelne Waldorfschülerinnen waren schon viele zu Gast auf dem Berghof, aber vier auf einmal? Was tun, wenn die keinen Bock haben?
Die Herausforderungen
Irmi und Franz, zwei Wind- und Wettergeprüfte Optimisten, lassen sich nicht beirren und blicken der Sache zuversichtlich entgegen. Zumal sich herausstellt, dass es sich bei den Mädchen ausnahmslos um gut erzogene, fleißige und geduldsame Kids handelt.
Die Gartenhütte ist schnell bezogen, und nach dem gemeinsamen Abendessen ist das Eis gebrochen, wie man so sagt. Natürlich sind die Schüler gespannt, was sie auf dem Hof erwartet, und welche Tätigkeiten sie erledigen sollen.
Ein voller Dienstplan
Franz lässt mit seinem Dienstplan nicht lange auf sich warten. Er erzählt vom Ampfer stechen, Kälbchen auf die Weide führen, eine Holzhütte abbrechen, Kochen, Kuchen backen, den Haushalt in Schuss halten…. Oh je, sind wir diesen Aufgaben gewachsen? Fragen sich die Mädchen. Da sich keine etwas unter dem „Ampfer stechen „ vorstellen konnte, wurde erst mal gegoogelt – abends natürlich. Dass der Ampfer zur Familie der Kreuzblütler gehört, das war ihnen neu.“ Der Stumpfblättrige Ampfer vermehrt sich fröhlich, und wird oftmals zum Unkraut. Im Bio- Anbau hilft nur ausstechen.“ So stand es im Internet.
Voll motiviert ging es tags darauf mit Bäuerin Irmi, Traktor und Anhänger auf die Wiese. Nach drei Stunden harter Arbeit war jedem klar, wie der Ampfer aussieht. Müde, K.O. und mit schmerzendem Rücken, aber mit einem guten Gefühl etwas „Wichtiges“ getan zu haben, fuhr die Gruppe heim zum Mittagessen. Die Tage mit Ampfer stechen, Kochen, Backen vergingen wie im Flug. Als Franz von seiner Idee berichtete, eine verlassene Feten- Hütte seines Sohnes Thomas abzureißen, waren alle begeistert. Ausgerüstet mit Brecheisen, Hammer und Zange rückte die Abbruchtruppe aus.
Franz staunte nicht schlecht, als er sah, wie emsig die Mädels ans Werk gingen. Unzählige Bretter und Balken mussten aus genagelt und sorgfältig aufgestapelt werden. Hätte Franz die Hütte alleine abbrechen müssen, er wäre wochenlang damit beschäftig gewesen.
Dann war da noch „Lulu“
Ein Versprechen musste Franz noch einlösen: Das Kälbchen „Lulu“ auf die zu Weide führen. Normalerweise macht so was der Franz – das ist Chefsache. Wenn sich das Kälbchen auf dem knapp ein Kilometer langen Fußmarsch losreißt, dann ist es weg. So was darf nicht passieren. Um das Kälbchen an die Leine zu gewöhnen, machten die Mädchen am Vorabend eine Trainingseinheit. Lulu, das Fleckviehkälbchen, lief wie am Schnürchen – sprichwörtlich. Das gab Franz die Zuversicht: Die Mädels, die können das. Die bringen Lulu sicher ans Ziel.
Und wie erwartet: der Treck verlief nach Plan. Lulu lief in einem Zug zu ihren Partnerinnen und hat sich sofort eingegliedert.
Der Projektgedanke
Die Tage liefen dahin. Irgendwann kam den Schülerinnen ihr soziales Projekt wieder in den Sinn. Die 60 Euro sollten sich doch vermehren. Beim gemeinsamen Abendessen kam die zündende Idee, für die Feriengäste auf dem Hof zu kochen. Familie Kinker spendierte die Zutaten, und die Mädchen ließen ihre Koch- und Konditoren Künste walten.
Die Urlauber erschienen zahlreich und hungrig. Gemeinsam genossen wir einen lauen Sommerabend mit leckeren Speisen, und die Gäste füllten die Spendenbox mit unerwarteten Geldbeträgen.
Die Schüler entschlossen sich, den Reinerlös an die Hochwasserhilfe zu spenden, was aus aktuellem Anlass sicher eine gute Entscheidung war.
Die Tage vergingen wie im Flug. Die Heimreise nahte. Eine Challenge, die kann man nicht so sang- und klanglos beenden. Mit der ganzen Familie trafen wir uns im Hotel Schwarzenbach zum Eis essen. Ich glaube, dieser feierliche Abschluss wird uns allen in angenehmer Erinnerung bleiben.
Nachlese
Im Nachhinein macht man sich dann seine Gedanken: War das eine Schnapsidee von Lehrer Hempel? Ganz sicher nicht, wie Franz und Irmi das am Ende beurteilten.
Die Mädchen bewiesen Mut, Entschlossenheit, Ausdauer und Fleiß. Sie gaben sich fern der Heimat mit vielen Entbehrungen und primitiven Verhältnissen zufrieden. Für alle Beteiligten war es eine große Herausforderung, aber sicher auch eine Lehre für´s Leben
Ich wünsche mir, dass es auf der Welt viele Lehrer Hempels gäbe, die nicht nur Theorie bis zum Abwinken in die Kinder eintrichtern, sondern den Jugendlichen einen Blick ins wahre Leben ermöglichen.
Euer Bauer Franz
*Anmerkung: Die Namen wurden geändert.