Gut behütet in Lindenberg
Eine unverhoffte Wanderung durch die Hutmacherstadt Lindenberg
Vor einigen Jahren hat es mich beruflich ins Allgäu verschlagen. War ich zuvor, als Städterin, nur selten in der Natur unterwegs, verschlägt es mich heute fast jede freie Minute in die nahen Berge. Häufig fahre ich dabei durch das Örtchen Lindenberg, das mich jedes Mal mit dem freien Blick auf seine beiden mächtigen Kirchtürme inmitten der wunderschönen Bergkulisse der Allgäuer Alpen begrüßt. Von hier aus ist es nur noch ein Katzensprung in die Berge. Anfang Mai zwingt mich eine Autopanne mitten auf der Kreuzung in Lindenberg zu einem spontanen Zwischenstopp. Während ich auf das Ersatzteil warte, empfiehlt mir der KFZ-Mechaniker einen Spaziergang durch den Ort. Heute sei doch der Lindenberger Huttag – eines der Highlights im jährlichen Veranstaltungskalender der Stadt.
Eine Stadt trägt Hut: Der Lindenberger Huttag
Gesagt getan: Auf dem kurzen Weg in die Innenstadt statte ich mich mit einem Stadtprospekt Lindenbergs aus. Lindenberg werde, auf Grund seiner über 2.000 Sonnenstunden im Jahr, auch gerne als die Sonnenstadt im Allgäu bezeichnet, erfahre ich bei meiner Lektüre. Und auch heute hält der Ort sein Schönwetter-Versprechen: es ist wahres Kaiserwetter, die Sonne strahlt vom Himmel und ganz Lindenberg scheint auf den Beinen zu sein. Die Hauptstraße hat sich in eine große Flanier- und Präsentiermeile verwandelt.
Um mich herum: hunderte von Hutmodellen in allen erdenklichen Farben und Formen, die zum heutigen Ehrentag aus ihren Schachteln befreit wurden und nun stolz von ihren Besitzern zur Schau getragen werden.
Rund um den Lindenberger Hutmacherplatz, den Stadtplatz sowie das Deutsche Hutmuseum verfolge ich einige Vorführungen und Ausstellungen zum Thema Hut, begutachte polierte Liebhaberstücke bei der großen Oldtimerschau und gucke mir bei den zahlreichen Hutverkaufsständen vor dem Deutschen Hutmuseum die Augen aus dem Kopf. Mein persönliches Highlight ist jedoch die Wahl der Deutschen Hutkönigin auf dem Stadtplatz.
Aus einer Vielzahl an Bewerberinnen entscheidet sich die Jury schließlich für die sympathische Janine Halder. Sie darf in den kommenden zwei Jahren als Deutsche Hutkönigin die Stadt Lindenberg und die Hutfabrik Mayser repräsentieren.
Die Zeit verfliegt und nach drei ereignisreichen Stunden in der Innenstadt Lindenbergs, kehre ich zur Werkstatt und meinem reparierten Auto zurück. Meine geplante Wanderung werde ich heute zeitlich wohl nicht mehr schaffen, doch ich habe bereits eine an dere Idee, wie meine Wanderschuhe im Kofferraum doch noch zu ihrem Einsatz kommen. Durch den Stadtflyer habe ich erfahren, dass Lindenberg Partnerort der Allgäuer Wandertrilogie ist, einem Weitwanderkonzept, das satte 876 Kilometer durch die vielseitige Natur- und Kulturlandschaft des Allgäus führt. Von der Wandertrilogie habe ich als eingefleischter Wanderfan natürlich schon gehört und auf einigen Wanderungen bin ich bereits dem markanten Steinmännchen-Logo der Wandertrilogie begegnet.
Bei der Wandertrilogie geht es aber nicht nur um zurückgelegte Kilometer: vielmehr soll man durch das gut durchdachte und mittlerweile preisgekrönte Konzept, beim Wandern die Geschichten der Region intensiv kennenlernen und das echte, authentische Allgäu erleben können. Hierfür wurden die Orte entlang der Wanderroute in sogenannte Portal-, Etappen- und Themenorte eingeteilt und mit einer eigens entworfenen Wandertrilogie-Infrastruktur ausgestattet. Lindenberg zählt, das lese ich weiter im Ortsflyer, zu den markanten Portalorten auf der Strecke. Der Trilogie-Rundgang, eine etwa eineinhalbstündige Wanderung durch Lindenberg, führt laut Flyer, an den schönsten landschaftlichen Flecken und spannendsten Geschichten des Ortes vorbei. Das perfekte Ersatzprogramm für meinen heutigen Tag!
Auf dem Trilogie-Rundgang durch die Hutmacherstadt Lindenberg
Mein Ausgangspunkt ist der Start- und Willkommensplatz direkt vor dem Deutschen Hutmuseum mit seinem hervorstechenden Wandertrilogie-Wahrzeichen: dem Findling mit dem leuchtend blauen Allgäu-Würfel, dem Trilogieraum-Würfel „Wasserreiche“ und dem kleinen Ortswürfel auf der Spitze, der die individuelle Geschichte des Ortes bildlich darstellt. Im Falle Lindenbergs: ein elegant gekleideter Herr mit Hut. Die Informationstafeln vermitteln mir einen ersten Einblick in die Geschichte der Hutmacherstadt und in das Huthandwerk, das Lindenberg einst zu seiner wirtschaftlichen Blüte verhalf.
300 Jahre Hutgeschichte zum Aufsetzen und Anfassen
Natürlich lassen sich 300 Jahre Mode- und Kulturgeschichte nur schwer in einem kurzen Infotext wiedergeben – dafür gibt es, zum Glück, das Deutsche Hutmuseum, das mich auf zwei großen Ausstellungs-Etagen modern, umfangreich und interaktiv über die einzelnen Schritte der Hutherstellung, Hutmode sowie über die Geschichte der Hutstadt Lindenberg informiert. Von der einst so blühenden Hutindustrie Lindenbergs, erfahre ich später in der Ausstellung, ist heute fast nichts mehr übrig geblieben. Die mit 1.200 Arbeitern einstmals größte Hutfabrik Reich, musste 1997 die Produktion einstellen. Seit Dezember 2014 sind die ehemaligen Produktionshallen der Firma, der Sitz des Deutschen Hutmuseums, das 2015, durchaus verdient, mit dem Bayerischen Museumspreis ausgezeichnet wurde.
Heute existiert in Lindenberg nur noch die Firma Mayser als einzige Hutfabrik am Ort. Aber auch bei Mayser spielt heutzutage der Hut in der Produktionspalette eine eher untergeordnete Rolle. Seit 2002 produziert Mayser seine Hüte größtenteils im europäischen Ausland. Nur ausgesuchte Arbeiten, wie das Hutdesign, der Vertrieb und Einkauf sowie die Anfertigung kleinerer Stückzahlen in Handarbeit, befinden sich bis heute noch am Standort Lindenberg.
Imposante Kirchen und Friedhöfe, die Geschichten erzählen
Mit so viel Hintergrundinformation setze ich meine Wanderung durch Lindenberg fort. Die Route führt mich zunächst die belebte Hauptstraße mit ihren vielen kleinen Geschäften und Cafés entlang und biegt dann rechts in die Marktstraße ein. Von hier aus habe ich bereits mein nächstes Ziel im Blick: die Aureliuskirche mit ihrem sehenswerten Alten Friedhof.
Das kräftige Läuten der Stadtpfarrkirche erinnert mich daran, dass noch ein gutes Stück Weg vor mir liegt. Ich folge dem Läuten und stehe wenige Minuten später vor dem prachtvollen Kirchenbau der Pfarrkirche, die mit ihren Doppeltürmen und der mächtigen Kuppel heute das Stadtbild Lindenbergs prägt und auf Grund ihrer imposanten Größe auch als „Dom des Westallgäus“ bezeichnet wird.
Von hier ist es auch nur ein Katzensprung zum Stadtplatz Lindenbergs, dem Ort, an dem vor wenigen Stunden die Deutsche Hutkönigin gewählt wurde.
Am Rathaus und an einigen hübschen Holzschindelhäusern vorbei, geht es raus aus der Innenstadt, weiter in Richtung Waldsee. Der Weg führt mich leicht bergauf am Waldrand entlang und gibt ein paar schöne Postkartenblicke auf das Städtchen frei. Wie mag dieser Ort wohl in Zeiten der Industrialisierung ausgesehen haben, als hier über 34 Hutfabriken jährlich um die acht Millionen Hüte produzierten?
Rast am Waldsee
Mein Magen knurrt und zum Glück ist es nur noch eine kurze Wegstrecke vom Stadtzentrum Lindenbergs zum Waldsee, dem höchstgelegenen Moor-Badesee Deutschlands. Hier beginnt das Landschaftsschutzgebiet, das Lindenberger Moos, mit zahlreichen Wanderwegen und einem Moorlehrpfad. Ausflügler, Wanderer, Erholungssuchende und Wasserratten finden hier ein natürliches Kleinod vor. Elternpaare schieben Kinderwägen auf dem Kiesweg vor sich her, ein kleiner Junge macht die ersten mutigen Fahrversuche auf seinem Kinderfahrrad. Der Moor-See liegt friedlich vor mir, nur ein paar Enten durchziehen schnatternd das Wasser.
Hungrig von all den gesammelten Eindrücken und Erlebnissen, verliere ich mich schließlich in der Speisekarte des Hotels Waldsee, ein ehemaliges Moor-Sanatorium, das heute majestätisch am Seeufer thront und für seine gute Küche bekannt ist. Fangfrischer Fisch, knackiges Gemüse aus der Region, himmlische Dessertvariationen – ich genieße das feudale Essen auf der sonnigen Außenterrasse mit freiem Blick auf den See in vollen Zügen.
Nach der Rast geht es für mich, gut gestärkt und ausgeruht, in knapp zwanzig Minuten auf dem schattigen Waldweg zurück ins Zentrum Lindenbergs. Eigentlich. Denn das verführerisch kühle Kneippbecken entlang der Wanderroute, verzögert das Ganze ein wenig.
Zurück in der Stadt halte ich mich links und biege in den Stadtpark ein. An der Themeninsel der Wandertrilogie mache ich nochmals kurz Rast und gehe dann, entlang der Bismarckstraße, vorbei am Hutgeschäft „Chapeau“, der Hutfabrik Mayser und dem Hutmacherplatz, die kurze Wegstrecke zurück zu meinem Ausgangs- und Zielpunkt der Wandertour: dem Deutschen Hutmuseum.
Im Kultlokal Lindenbergs, dem Kesselhaus im Erdgeschoss des Hutmuseums, lasse ich den zurückliegenden Tag Revue passieren. Die Autopanne am Morgen habe ich schon längst wieder verdrängt, dafür hat mich die gelungene Kombination aus Kultur und Wandern der letzten Stunden viel zu sehr begeistert. Auch bin ich in den vergangenen Stunden dem Charme Lindenbergs erlegen, das mir in den vielen kleinen und großen Denkmälern am Wegesrand, seine beeindruckende Geschichte erzählte. Und auch die Wandertrilogie hat es mir angetan – der Trilogie-Rundgang war ein guter Einstieg in das Weitwanderkonzept und ich bin mir sicher, dass noch viele Etappen folgen werden.
Lindenberg im Allgäu Auf der Homepage der Stadt erfahren Sie mehr über das vielseitige Kultur- und Freizeitangebot der Stadt
Wandertrilogie Allgäu Sie sind wanderbegeistert und möchten mehr über das innovative Weitwanderkonzept erfahren? Oder direkt zur Etappe 38 der Wandertrilogie geht es -> HIER
Deutsches Hutmuseum Lindenberg 300 Jahre Hutgeschichte zum Anfassen und Aufsetzen. Auf der museumseigenen Homepage können Sie sich über aktuelle Führungen und Sonderausstellungen informieren.
Hallo Sabine,
wunderbar und ausführlich beschrieben, Dein Tag in Lindenberg: Traumwetter, tolle Kulisse und soviel aktives Erleben. Deine Bilder animieren, auch einen Tag in der Hutstadt zu verbringen.
Beste Grüße, Ulli