60 Jahre „filmburg“ Marktoberdorf
Monika Schuberts Kult-Kino
Die „filmburg“ feiert 60. Geburtstag. Mit einem ausgezeichneten Programm. Bundesweit beachtet, als Programmkino gegen den Mainstream: das Generationen übergreifende Kult-Kino. Als die Bilder laufen lernten, war Marktoberdorf früh mit dabei.
Am Anfang war das Lichtspiel-Theater. Ruckelnde Stummfilme mit dem „Mann am Klavier“, der live zu den bewegten Bildern spielte. Als der Verein „Kulturwelt“ Mitte Oktober in der „filmburg“ den Kurzfilm-Wettbewerb „HINLINSEN 2.0“ in öffentlicher Veranstaltung abschloss, war das ein kleiner Mosaikstein in der bunten, vielfältigen Kino-Geschichte Marktoberdorfs.
60 Jahre sind viel und wenig zugleich. Das Kino ansich feierte 2015 seinen 120. Geburtstag. Im Berliner Wintergarten-Theater fand am 1. November 1895 die erste Vorführung elektrisch bewegter Bilder statt. Mit Hilfe des Doppelprojektors „Bioskop“ wurden „Lebende Photographien“ als Schlussnummer des Varieté-Programms an die Leinwand gezaubert. Irritiert soll das Publikum auf das Löschen des Saallichtes reagiert haben.
Es ist Freitagabend, kurz nach 18.00 Uhr. Monika Schubert kreiert den Aperitif „Tango Tropicale“ für die Gäste, die im Rahmen einer „Kulinarischen Stadtführung“ als erste Station „filmburg“ gebucht haben und sich für das unter Denkmalschutz stehende Gebäude aus den Fünfziger-Jahren interessieren; Menschen, die mehr wissen wollen über die für viele Bürger zur gewohnten Selbstverständlichkeit gewordene kulturelle Institution Kino an der Gschwenderstraße 7.
Das erste ortsfeste Lichtspielhaus in Marktoberdorf wurde neben dem „Hotel Sepp“ an der Bahnhofsstraße eingerichtet, dann kam das Kino an der „Rauh“-Kreuzung, da wo man heute gut „indisch“ essen kann. Und nach dem Zweiten Weltkrieg entstand das „Neue Filmtheater“ genau dort, wo jetzt das „China-Restaurant“ ist.
Kinobesitzer und „Mechler“ aus Thalhofen
Auf seinem Grabstein steht stolz „Kinobesitzer“. Es war Hans Mayer-Bloching – der „Kino Mayer“, ein „Mechler“ aus Thalhofen, Mitglied der Kino-Familie Bloching, der als Kino-Pionier Marktoberdorfs gilt, der 1956 die „Filmburg“ eröffnete. Monika Schubert erzählt, dass es damals in der Wirtschaftswunderzeit, als noch nicht in jedem Haus ein Fernsehgerät stand, sogar zwei große Kinos in Marktoberdorf gab. Und zwei Betreiber davon leben konnten.
1956 also wurde unter Leitung der Kinofamilie Bloching die „filmburg“ eröffnet. Viele Marktoberdorfer hatten im ovalen, goldgelben Kinoraum ihr erstes Filmerlebnis. Von „High Noon“ mit John Wayne bis zu „Winnetou“ mit Pierre Price und Lex Barker. Der vorerst letzte große Film, der Ende der 90er-Jahre noch über die Leinwand der „filmburg“ flimmerte, war sinnigerweise „Untergang der Titanic“. Der Konkurrenz der modernen Multiplexkinos in der Umgebung konnte die nostalgisch-liebevolle „filmburg“ mit ihren begrenzten Möglichkeiten damals nichts entgegensetzen.
Doch „Totgesagte leben länger“: die Leiterin der Theaterschule „mobilè“, Monika Schubert, fasste zusammen mit anderen Kino-Enthusiasten Mut und übernahm das stillgelegte Gebäude. „Der Wiederanfang am 1. Oktober 2001 war für uns alle unglaublich aufregend, aber auch unglaublich mühevoll und teuer“, erinnert sich die Powerfrau und Theaterpädagogin: „Bühne, Scheinwerfer, sanitäre Einrichtungen, alles war fällig!“
Aber der Aufwand hat sich gelohnt: seit genau fünfzehn Jahren funktioniert die „filmburg“ wieder, sie hat sich fortentwickelt, sie ist erfolgreich, sie fühlt sich wohl in ihrem Nischendasein. Und das Publikum jeglichen Alters liebt den nostalgischen Charme des Hauses, weil er mit allermodernster Kino-Technik daher kommt, mit Engagement, mit Kreativität. Gerade wurde die hochmoderne, blendendweiße 9,5 x 8,7 Meter große 4K-Brillant-Leinwand eingebaut, „das Hochauflöslichste was es auf dem Markt gibt“.
Natürlich ist auch in der „filmburg“ längst das digitale Zeitalter eingezogen. Von der amerikanischen Filmindustrie buchstäblich genötigt, musste Monika Schubert vor zwei Jahren quasi über Nacht entscheiden, ob sie von der traditionellen, analogen 35-Millimeter-Projektion auf digitale Projektion umstellt.
Das hört sich einfacher an, als es ist: 65.000 Euro hat der geforderte Systemwechsel gekostet. Der heutige Bürgermeister Wolfgang Hell hat sich schon damals, 2014, noch vor seiner Wahl, nachdrücklich für einen städtischen Zuschuss für die „Kulturinstitution“ eingesetzt. Und freut sich jetzt mit dem Stadtrat und der Bürgerschaft zurecht darüber, dass die „filmburg“ nicht nur besteht, dank modernster Digitaltechnik, Brillant-Leinwand und Dolby-Surround, sondern dass sie sich im Aufwind befindet. Die Zahl der Besucher steigt. Und die Gäste kommen aus dem gesamten Allgäu.
Keine Action-Filme, keine Horror-Streifen
Das hängt damit zusammen, dass Monika Schubert keine Action-Filme und keine Horror-Streifen zeigt, sondern ausgesuchte, besondere, „thematische Filme, die Gespräche auslösen und Freude verbreiten.“ Das können auch Komödien sein, oder ein Heimat-Krimi. Das Kino der Kreisstadt greift Themen auf, über die man zu wenig weiß und demonstriert tagtäglich, dass ein Programmkino nicht zwingend Problemkino heißen muss.
Die Treppe ist eng, die Stufen schmal. Eine Metalltüre führt vom Balkon im ersten Stock des Hintergebäudes ins Allerheiligste. Blaue Transportboxen für Festplatten. Keine Spulen mehr. Keine Streifen. Die drei „Vorführer“ sind längst „Programmierer“. Im modernen Vorführraum über dem Saal mit Bühne und 200 Plätzen steht eine Art Großcomputer, über den das Programm läuft bzw. „gefahren wird“. Irgendwo ein Häkchen nicht gesetzt und der Film fällt aus. Aber die „filmburg“-Wächter sind Profis!!
Das 28-köpfige „Kino-Team“ um Monika Schubert, das im Sinne einer Genossenschaft in geringem Umfang, je nach Einsatzstunden z. B. an der Kasse, auch an den Einnahmen beteiligt ist, zeigt Mut zum Dokumentarfilm. Und zu Filmen in Originalsprache. So sind Werke in Arabisch oder Hebräisch zu sehen, Filme aus Kirgisien oder Myanmar. Leinwandflimmern gegen den Mainstream.
2015 waren 36 Dokumentarfilme im Programm. Und dafür gab es dann auch eine hohe Auszeichnung, Anerkennung. Lob. Wieder einmal. So wie die „filmburg“ vielfach mit dem Programmpreis des Film-Fernseh-Fonds Bayern ausgezeichnet wurde und – das ist nun wirklich so etwas wie der Ritterschlag – schon neunmal ohne Unterbrechung hintereinander mit dem „Programmpreis der Bundesrepublik Deutschland“. Darauf kann sich Monika Schubert wirklich etwas einbilden. Auch darauf, dass eine Doris Dörrie schon mal inkognito im Publikum sitzt. Für die engagierte Oberdorfer Kultur-Protagonistin ist das aber nur Ansporn zum Weitermachen.
Die Gäste schlürfen ihren Aperitif „Tango Tropicale“: Mangosaft, Orangensaft, Prosecco und ein attraktives Ananas-Basilikum-Blatt zum Umrühren. Der Drink passend zum Abendprogramm: Heute läuft der Musikfilm „Argentina“ von Carlos Saura. Ein Festival argentinischer Folklore in Form von Musik und Tanz. Rhythmus und Leinwandflimmern.
Die „Allgäuer Filmkunstwochen“ lassen grüßen. Wie jedes Jahr. Der Kino-Herbst kommt mit zahlreichen cineastischen Höhepunkten. Die „filmburg“ als Brennglas und Kaleidoskop. Kino-Kultur. Kino-Kult.
Auch das ist „unser“ Marktoberdorf.
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Infos zum 60 Jahre alten Programmkino „filmburg“ Marktoberdorf gibt’s immer aktuell unter: www.filmburg.de