Der Trachtenverein Marktoberdorf zündet 30. Funkenfeuer
„Da musst Du unbedingt hin!“ – „Großartiges Brauchtum“ – „Ein archaisches Erlebnis“, „mit kulinarischer Zugabe!“ So hatten mich, den Immer-noch-Neu-Allgäuer“, gute Freunde und Bekannte am Sonntag, 5. März, am frühen Abend vom Fernseher weggeholt. Und aus der warmen Stube. Wir fuhren erst Richtung Füssen und dann zum Schillenberg am neuen B-16-Kreisel. Feuer frei für das Funkenfeuer.
Und was mir die Verführer nicht alles erzählten, von der uralten Tradition am Funkensonntag, um meine Begeisterung zu wecken. Dass die Idee, alles Negative und Böse zu verbrennen, aus grauer Vorzeit stammt. Dass die Feuer überall im Allgäu hell auflodern, weil die Reichweite des Lichtstrahls in Verbindung mit Fruchtbarkeit gebracht wird. Fluren, Felder und die Behausungen der Menschen sollen im kommenden Jahr von allem Übel verschont bleiben, wenn der Schein der lodernden Flammen sie trifft.
Mir ist kalt, obwohl es nicht eigentlich kalt ist. Aber irgendwie feucht und unangenehm. Außerdem schaut’s nach Regen aus. Der Platz hinter der Tierklinik Dr. Weinhart ist hell erleuchtet. Und es ist gar nicht so einfach, eine Lücke für das Auto zu finden. Doch da stehen schon Ordner mit Leuchtstäben, die die Funken-Feuer-Fans den steilen Berg in Richtung Rieder hinauflotsen, wo eine Wiese als Parkplatz hergerichtet ist. Ich ziehe den Reißverschluss meines Anoraks hoch und bin immer noch nicht sicher, ob ich wirklich hinaus will – aus dem sicheren Fahrzeug.
Der Gebirgstrachtenerhaltungsverein „D’Wertachtaler“ pflegt seit 1987 den alten Brauch aus der Alemannenzeit. 2017 also zum 30. Mal. Und da haben sich die 250 Mitglieder des 1950 gegründeten Traditionsvereins natürlich besonders ins Zeug gelegt. „Besonders schön“ sollte die symbolische Figur der Winterhexe diesmal sein, von Gisela Wiesmüller, der Vorsitzenden, persönlich mit trockenem Stroh ausgestopft und mit einer typischen Kittelschürze bekleidet. Und der zweite Vorstand, Alfred Frei, ist sich nicht zu schön, als Parkplatzwächter und –einweiser ganz oben dafür zu sorgen, dass die Zuschauer möglichst nahe ran kommen an den haushohen, sich scherenschnittartig und gewaltig gegen den fahlen Himmel der hereinbrechenden Nacht abhebenden Scheiterhaufen.
Seit dem frühen Mittelalter ist der Brauch des gegen den Winter Anbrennens auch im christlichen Kalender integriert. Die Wurzeln aber reichen weiter zurück. „Die Römer waren’s wohl mal wieder“, grinst mein Freund aus dem Gwend, „und da gibt es nun ja auch einen engen Bezug zum Römerverein in Marktoberdorf!“
„Römerbad“-Museum und Funken-Feuer, da hätte ich bis heute keinen Zusammenhang gesehen, aber das populäre Internet-Lexikon WIKIPEDIA gibt meinem Kumpel, ein eingefleischter, echter Ostallgäuer, absolut Recht, der mich jetzt – sein mit allen wichtigen Apps ausgestattetes Mobiltelefon wie eine Kriegsfahne siegreich schwenkend, dementsprechend frech angrinst: „Der Volkskundler Matthias Zender führt in einer europaweiten Untersuchung von Feuerbräuchen das Abbrennen des Feuers am Funkensonntag auf noch heute in Oberitalien gebräuchliche Feuer zum römischen Jahresanfang am 1. März zurück. An diesem Tag wurde im antiken Rom im Tempel der Vesta das heilige Feuer entfacht.“
Christbäume vom Wertstoffhof als Futter für die Flammen
In der Holzbude unten, in der Schillenberg-Talstation sozusagen, wo „D’Wertachtaler“ ihr Vereinsdomizil haben, wird schon fleißig Glühwein verkauft, „bis um 19.00 Uhr das Feuer entfacht wird“. Und die Funkaküchle, von den Vereinsdamen am Sonntagnachmittag ganz frisch gebacken, gehen weg wie die warmen Semmeln.
Wir haben uns für Bier aus der Flasche entschieden, das zu dem Schmalzgebäck vortrefflich passt, und einen Platz in der ersten Reihe. Die Freunde, teilweise Trachtler, erzählen, dass – alter Brauch hin oder her – mittlerweile auch bei Funkenfeuern Umweltstandards eingehalten werden müssen.
Vorbei die Zeiten, in denen Altöl, Schwarzpulver oder abgefahrene Bulldogreifen als Brandbeschleuniger eingesetzt wurden. Aber die Kunst des Funkenbauens ist noch immer oder sogar mehr denn je gefragt. Je länger der Funken, also der Holzstoß, nämlich braucht, um gänzlich abzubrennen, desto besser wurde er gestapelt. Und je schneller und heftiger der ganze Stoß brennt, mit hell zum Himmel lodernden Flammenzungen, umso rascher wird es vorbei sein mit Eis und Frost, dem kalten Winter und den dunklen langen Nächten.
Alfred Frei, der seinen Posten als Parkplatzwächter mittlerweile aufgegeben hat, weil es keine Parkplätze mehr gibt, gesellt sich zu uns und erzählt, dass er mit zwölf aktiven Helfern das emissionsfreie Brennmaterial herbeigeschafft hat: „Direkt aus dem Wertstoffhof Marktoberdorf haben wir drei Wagenladungen voll alter, dürrer Christbäume geholt und dann Stockwerk für Stockwerk kunstvoll aufeinandergeschichtet bzw. ineinander verkeilt. Dazu Scheite aus unbehandeltem Holz. So ist ein haushoher Haufen entstanden, mit solider Stabilität, der jetzt denn gleich von Kindern mit Fackeln entzündet wird!“
Und da kommen sie schon, angeführt von der Blaskapelle Rieder, wie ein feuerspeiender Lindwurm den Weg herauf, zehn Mädchen und Buben mit Fackeln, die ganz aufgeregt sind, die bestimmt gar nicht spüren, dass es ausgerechnet jetzt zu nieseln beginnt. Meine Brillengläser sind schon voller Regentropfen. Das glitzert vor Augen. Viele Sterne in der Funkennacht, die einen reichen Kirschensegen bescheren sollen. Mir gefällt das Feuerwerk aus Lichtreflexen, das ich vor Augen habe, unerwünscht ist es trotzdem.
Ausgerechnet jetzt! Der Regen klatscht mir ins Gesicht. Die Wiese wird glitschig. Der Fotoapparat muss ins Trockene. Also in die Hosentasche. Ich leide mit den Veranstaltern, denn weil der für den späteren Abend angekündigte Regen jetzt schon einsetzt, wird es schwierig werden, die Zuschauer lange zum Bleiben und zum Konsumieren der vorbereiten Köstlichkeiten zu animieren.
Binnen Sekunden lodert das Konglomerat aus dürrem Holz
Da es jetzt wie aus Kübeln zu schütten beginnt, pressiert’s. Nicht dass es am Schluss nichts mehr wird, mit den züngelnden Flammen. An der Feuerstelle angekommen, bekommen die zündelnden Kindern noch klare Anweisungen: „Wir haben vier Feuerkanäle in den Haufen eingearbeitet, dort liegen die Lunten, da müsst ihr mit euren Fackeln ansetzen. Aber – alles hört auf mein Kommando!“
Und dann geht es ganz schnell. Binnen weniger Sekunden fängt das Konglomerat aus dürrem Holz tosend und brausend zu lodern an. Der auffrischende Wind bläht die züngelnden Flammen auf und treibt das Feuer auf die staunenden Zuschauer zu, die mit ihren bunten Regenschirmen rasch zurückweichen. Eine Wand aus Wärme breitet sich aus. Hitze wabert. Die Regentropfen sind nicht mehr zu spüren. Und wer zu weit vorn steht, wird von den jetzt wie in einem Kamin nach oben fächernden Flammen vertrieben.
Jetzt bereue ich nicht mehr, dass ich mitgekommen bin. Zwar sind meine Schuhe längst lehmverschmiert, und ich bin bis auf die Haut durchnässt, aber der Faszination des Feuers, der archaischen Symbolik uralten Brauchtums, kann ich mich nicht entziehen. Was für ein unvergessliches, schauerliches, zu Herzen gehendes Bild: die Figur der Funkenhexe steht jetzt auch schon lichterloh in Flammen. Das Feuer knackt, kracht und surrt. Blendend hell der Vordergrund. Und friedlich und ruhig am Horizont die angestrahlte Pfarrkirche St. Martin, das Wahrzeichen Marktoberdorfs neben dem Schloss.
Und so habe auch ich längst Feuer gefangen. Die Begeisterung der Zuschauer war ansteckend. Und die Funkaküchle schmecken hervorragend. Für mich steht fest: im nächsten Jahr, wenn wieder Funkensonntag ist, wieder der erste Fastensonntag, dann bin ich wieder dabei – am Schillenberg über Marktoberdorf. Egal was im Fernsehen kommt und wie das Wetter ist.
Mehr Informationen zum „Funkenfeuer“ und anderen Kultur-Highlights in Marktoberdorf im Jahreskreis gibt’s immer aktuell unter: http://www.touristik-marktoberdorf.de und http://www.trachtenverein-marktoberdorf.de