Reformation im Allgäu – ein Ostersonntag
Luther und die evangelische Kirche. Für mich als Katholikin ein Thema, mit welchem ich mich vorher nicht beschäftigt habe. Denn Protestanten sind die eher farblosen Zeitgenossen, gefeiert wird bei uns mehr! Das wird schon im Gottesdienst beider Konfessionen sichtbar, geschweige denn bei den Bräuchen. Aber dann ließ mich das Thema doch nicht los und ich erfuhr Einiges: 1511 übernachtet Luther in Mindelheim, 1513 war Memmingen schon offen für die Reformation, Isny war eine der ersten reformierten Städte und die beiden Schweizer Zwingli und Calvin standen den Allgäuer näher als der mitteldeutsche Luther. Ob´s wohl an der Sprache lag?
1511 soll Luther auf der Rückreise von Rom im Mindelheimer Augustiner Kloster übernachtet haben. Über der Stadt thronend beherrscht die Mindelburg das Stadtbild, Sitz des Landesherren Georg I. von Frundsberg. Fundsberg, den man auch den „Vater der Landsknechte“ nannte und dem römisch-katholischen Kaiser treu zu Diensten war, begegnete 1521 auf dem Reichstag zu Worms Luther. Ihm soll er zugerufen haben „Münchlein, Münchlein, du gehest einen schweren Gang…“ Übrigens war Frundsbergs Frau, die Landesherrin Anna von Lodron, eine glühende Anhängerin der Reformation und lud protestantische Prediger auf die Mindelburg ein.
Rege Diskussionen wurden im ganzen Land geführt und als Luther 1517 seine Thesen der Reformation in Wittenberg an die Kirchentüre schlug, verbreiteten sie sich über Flugblätter im ganzen Reich. Die Idee der Kirchenerneuerung wurde auch im Allgäu nach und nach umgesetzt.
Das Allgäu unter dem Einfluss der Schweizer Calvin und Zwingli
Schon 1513 wurde in Memmingen der Schweizer Theologe Christoph Schappeler, ein Freund Zwinglis, berufen. Calvin, Zwingli und Luther: Deren Predigten und Thesen waren Auslöser für die gebildete und wohlhabende Bevölkerung der ehemals freien Reichsstädte, sich von der katholischen Kirche ab- und dem reformatorischen Glauben zuzuwenden. In Kempten gab es Anhänger von Luthers Thesen, aber auch von Zwingli. Das führte zu Streitereien in der Bürgerschaft und erst Jahre später fanden sie zu einer einheitlichen Gottesdienstordnung. Zu Vorbereitung von Gottesdiensten gab es mancherorts die sogenannten Predigerbibliotheken. In Isny sind im Turm der evangelischen Nikolai-Kirche in der original erhaltenen, über 500 Jahre alten Predigerbibliothek die Schriften von Melanchthon, Zwingli und Calvin zu sehen. Die Bürger hatten genug von schlecht vorbereiteten Messen, Predigten und den Vertretern der Kirche, wie es in Isny überliefert ist: „Wilhelm Steudelin, der Stadtpfarrer von Isny, kam nicht durch seinen Verdienst ins ein Amt, sondern durch die Verwandtschaft mit dem Abt. Er war ein Ärgernis für die ganze Pfarrei. Die Vorwürfe gegen ihn lauteten: Fluchen und Trunksucht, auch dass er ein Weib gehalten hat und dass er gewalttätig und streitsüchtig war“.
Von Recht- und Wüstgläubigen – Leben in Isny zur Reformationszeit
Isny erinnert an diese Umwälzungen mittels einem historischen Schauspiel als Stadtführung „Von Recht- und Wüstgläubigen – Leben in Isny zur Reformationszeit“. Fünf Szenen an fünf historischen Plätzen, mit Musik von Michael Praetorius, erzählen Geschichte aus den Jahren 1523 bis 1534 nach. Die Erzählerin führt jeweils kurz in die Geschichte ein, bevor Schauspieler Szenen darstellen. Diese fünf Akte sind lehrreiche und unterhaltsame Geschichte an Orten, die dem Besucher sonst verwehrt sind. Am Ostermontag ist die Premiere, ich war schon bei der Generalprobe dabei.
Nach der Ostermesse 1525
Die Szene beschreibt ein aufgebrachtes Treiben nach dem Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche von Isny: Der Kaplan Johann reichte beim Abendmahl Wein und Brot: „Gerade so wie der Zwingli in Zürich und der Luther in Wittenberg und ganz so, wie es die Bauern auf dem Lande auch fordern und in Memmingen schon seit zwei Jahren praktizieren“. Der Klosterschreiber des Benediktinerklosters, welches direkt neben der Stadtpfarrkirche liegt, verurteilt dies natürlich als Ketzerei. Ebenso, dass die Bauern ringsum die römischen Pfarrer vertreiben, nur noch evangelische akzeptieren und Klöster belagern. Im Herbst schließlich hat sich die Reformation durchgesetzt.
1529, Isny gehört zu den ersten reformierten Städten. Die Lateinschule wird von Paul Fagius – einem Freund Luthers geleitet, der sich in Heidelberg auf den Lehrstuhl für Hebräisch bewarb. Ihm ist es wichtig, die Bibel wortgetreu ins Deutsche zu übersetzen. Das katholische Heidelberg versetzte ihn allerdings ins entlegene Allgäu, wo er keinen Schaden anrichten könne.Das Schauspiel der Isnyer gibt eindrucksvoll die Zeiten des Umbruchs wieder, das ist Zeit-und Stadtgeschichte erleben!
1525 in Memmingen – 12 Bauernartikel, erste Menschenrechtserklärung
Mit Christoph Schappeler, einem Freund Zwinglis, holten sich die Memminger bereits 1513 den Geist der Reformation in die Reichsstadt. Der humanistische Einfluss führte schließlich dazu, dass in Memmingen Weltgeschichte geschrieben wurde: 1525 wurden die 12 Bauernartikel verfasst, damit wurden erstmals Freiheits- und Menschenrechte niedergeschrieben. „Von der Freiheit im Leben und Glauben“ heißt hier die spezielle Stadtführung. Sie führt unter anderem in die Stube der Kramerzunft, in welcher man die 12 Bauernartikel niederschrieb. Der Geist der Reformation, die Bauernaufstände, der 30jährige Krieg, all das hinterließ im Allgäu tiefe Spuren. Und doch lebten katholische und evangelische Bürger friedfertig nebeneinander, wie die Liebfrauenkirche in Memmingen beweist. Sie ist eine der letzten Simultankirchen Bayerns.
Oratorienkonzerte, Opernfestival und moderne Oper
Stadtführungen als Schauspiel, eine eigene Oper oder auch das Literaturfestival Allgäu, sie alle vermitteln, wie in den Städten Geschichte geschrieben wurde und wie das Mit-und Nebeneinander von katholischen und reformierten Bürgern funktionierte. Isny widmet das diesjährige Opernfestival mit „Die Hugenotten“ (28.06., 01.- 02.07.) und dem Oratorienkonzert (23.6.) der Reformation. Der Orgelsommer Kaufbeuren bietet am 16. September Jazzimprovisationen über Originalwerke von J.S. Bach sowie über Lieder Martin Luthers. Wenn der Leipziger Universitätsmusikdirektor David Timm an der Orgel und der Jazz-Saxophonist Reiko Brockelt loslegen, swingt die Kirche. In Wangen wird die Oper „Luther“ des finnischen Komponisten Kari Tikka am 01.10. aufgeführt.
Was Allgäuer Städte im Jubiläumsjahr anbieten, ist auf www.allgaeustaedte.de zusammengefasst und die speziellen Führungen sind wirklich eine Bereicherung!
Gelungener Artikel.
Danke! Das Thema ist aber auch interessant.
Herzlichen Dank für diesen historischen ‚Leckerbissen‘ Bin im Westallgäu aufgewachsen , mitten im noch leicht schwelenden Konflikt zwischen den Religionen, in Isny konfirmiert , und muß ehrlich sagen, ich habe das schon als Kind aus einer gewissen Distanz schmunzeln genossen, weil ich von beiden Seiten akzeptiert wurde. Von dem , was Ihre Dokumentation beinhaltet, hat natürlich niemand gesprochen. Und ich denke, daß sich aufgrund der Desinformation niemand Gedanken darüber gemacht hat.
Ich bin auch jedesmal noch ein wenig erstaunt ob der Unterscheidung katholisch oder evangelisch. Das gilt ja selbst für mich. Erst als ich mich mit dem Thema befasst habe, ist mir klar geworden welcher enormer gesellschaftlicher Wandel vor 500 Jahren die Region erfasst hat. Und vor allem aus welchen Gründen und mit welchen positiven Folgen für uns alle.
Das Thema hält mich gefangen und Ihr Artikel inspiriert mich sehr, um hier weiter nachzuforschen, zumal hier noch familiäre Bande eine wichtige Rolle spielen. Habe die die Jazzimprovisationen in Kaufbeuren und auch die Oper
‚Luther‘ in Wangen im Auge und hoffe, daß sich das auch realisieren läßt.
Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Unterallgäu erinnere ich mich noch gut an die Grundschulzeit in der Dorfschule. Ein Schüler war vom Religionsunterricht befreit und wir beneideten ihn deswegen ein bisschen. Die Hintergründe wurden uns seinerzeit nicht genau erklärt. Es war einfach so noch vor 50 Jahren. Noch eine Generation zurück war eine Ehe zwischen den beiden christlichen Religionen durchaus ein Problem.
Renate Manlig
Beschäftige mich seit Jahren mit dem Thema Reformation im Allgäu.Außer Ka tholiken und Protestanten gab es noch eine dritte Fraktion,die sog.Unionisten,die keine Kirchenspaltung wollten und erst mit dem Dreißigjährigen Krieg untergingen.Aus Wangen stammte einer .der Leibärzte Luthers Mathäus Ratzeberger.
Als Schüler in Mindelheim geboren (1946) war ich mit dem Thema konfrontiert
und habe es nicht verstehen können, dass meine Evangelischen Klassenkameraden nicht mit zur Erstkommunion gehen durften. Spürbar war der Unterschied, wir sind die mit dem richtigen Glauben und die mit dem anderen Glauben. Heute ist das natürlich der Schnee von gestern!!?? Zu dem
Artikel kann man(n) nur sagen…….Klasse.
Ich weiß nicht mehr, welche Stadt im Allgäu es war, wir fanden bei einem kurzen Stop an einem selten Haus vor dem Stadttor eine Tafel mit der yinschrift, dass in diesem Haus die katholischen Diendtboten der Stadt zu nächtigen hatten!! So streng hielt man es!
Liebe Frau Ulrich, das müsste Isny gewesen sein.
Zum Kommentar: Tipfehler: alten Haus