Meine große Liebe zu Marktoberdorf geht (auch) durch den Magen
Küche, Kulinarik, Marktoberdorf. Das gehört zusammen. Apero im Fotoladen. Das klingt schon mal interessant. Und dass man dann zwischen Kameras und Studio-Scheinwerfern keinen ausgelutschten „Aperol Spritz“ kredenzt, sondern einen kräftigen Apfelpunsch mit Nelken und Zimt, das passt perfekt als Einstieg zu einer besonderen Stadtführung.
Es ist ein völlig verregneter Sommerabend. Ohne Schirm hätten wir keine Chance gehabt, einigermaßen trocken die wenigen Schritte vom Auto ins Fotostudio „Hotter“ zu schaffen. Und weil es draußen ungemütlich und kalt ist, kommt der traditionelle Trunk aus dem Festtagsschatz der Oberdorfer Oma besonders gut an. Stadtführer Norbert Köser hebt sein Glas und gleichzeitig zu einem ersten Satz Küchenlatein an: „Was die anderen trinken, trinken sie dir weg!“
Der Rahmen für den Beginn der „Kulinarischen Oma-Führung“ durch die Kreisstadt Marktoberdorf könnte nicht besser passen: das „Atelier für Photographie von Joseph Hotter“ gibt es seit 1886. Fünf Generationen Kontinuität. Fotografenmeister Peter Herbst hütet historische Fotoapparate und Kameras aus der Frühzeit des Lichtbilds wie seinen Augapfel. Dann gibt er Alben mit historischen Schwarz-Weiß-Bildern herum: Stadtansichten, die eingefleischte Marktoberdorfer zum Staunen bringen.
„Cafè Greinwald“ mit barocker Fassade
Die gestochen scharfen, zumeist in Sepia erhaltenen Aufnahmen noch vor Augen, spazieren wir wie Entenküken hinter Norbert Köser her zum nächsten Ziel unserer Nachtwanderung in acht Gängen. Die Regenschirme wie bunte Waffen zum wolkenverhangenen Abendhimmel gestreckt, erreicht die jetzt schon hungrige Truppe aus Einheimischen und Urlaubern das überregional bekannte „Café Greinwald“ mit barocker Fassade. Das schmucke Gebäude an der Georg-Fischer-Straße wurde 1899 errichtet. Gabi und Erich Hiemer führen das Haus seit 1981, seit 2011 mit komfortablem Hotel.
Ein paar Infos zum Umbau von 1990 und zum 35-jährigen Jubiläum, dann klappern die Löffel. Norbert Köser weiß, dass er an der Stelle nicht zu viel reden darf, weil die Kundschaft endlich was zwischen die Zähne kriegen will, schließlich tut ja der Aperitif in Kombination mit dem „wüaschten“, sehr unwirtlichen Wetter draußen seine appetitfördernde Wirkung.
Gastgeberin Gabi Hiemer trägt persönlich die duftende, heiße Bratspätzlesuppe mit viel Einlage auf und wünscht einen „guten Appetit!“ – Den haben alle mitgebracht. „Da schauen aber nun wirklich mehr Augen raus als rein“, kommentiert mein Nachbar am Tisch trocken und lässt es sich schmecken.
„Bier ist Menschenwerk, der Wein von Gott“. Mit diesem Satz von Martin Luther lockt Norbert Köser seine Gäste ins „Café Lausfehl“ an der Georg-Fischer-Straße, gleich gegenüber der Frauenkapelle. Sabine und Thomas Huth begrüßen die Gruppe mit einem deftigen Allgäuer Bergkäseschmarren auf Salat. Dazu gibt es ein Allgäuer Bier. Wer mag, kann auch ein Wasser haben, aber das ist doch im Bier eh schon drin!
Dass schmackhafte heimatliche Küche zur Kultur gehört, macht das Wirtsehepaar dadurch deutlich, dass es sich auch mit gutem Ton auskennt, mit guten Tönen, besser gesagt. Die beiden sind nämlich nicht nur als Gastonomen und Caterer bekannt und erfolgreich, sondern auch als Musiker.
Kulinarik und Kommunikation in Kombination
Norbert Köser ist ein sehr guter Unterhalter und Moderator. Zum einen ist er nie um einen Scherz oder ein Literaturzitat verlegen, zum anderen schafft er es mit viel Charme und sanfter Gewalt, dass sich die Paare (vorübergehend) trennen und die Gäste an der Oberdorfer Oma-Führung in jedem der angesteuerten Lokale neben anderen Nachbarn sitzen, und so immer wieder mit neuer Tischgesellschaft ins Gespräch kommen. Neue Themen. Kulinarik und Kommunikation in würziger Kombination.
Nachdem ja nun der ärgste Hunger gestillt ist, tut es gut ein paar Schritte durch das nun schon sehr stille Marktoberdorf zu gehen. Die wenigen Autos haben schon die Lichter an. Von Sankt Martin schlägt es acht Mal. Auf dem kurzen Weg durch die Meichelbeck-Straße zum Museum Hartmannhaus kommt Norbert Köser über eine freskierte Inschrift an einer Hausfassade auf Karl Meichelbeck zu sprechen.
Wer war das eigentlich? Nicht einmal die Marktoberdorfer in der Gruppe wissen es so ganz genau. Der bedeutendste Mönch des Stifts Benediktbeuren wurde 1669 in Marktoberdorf – damals noch Oberdorf – geboren. Als Geschichtsschreiber und Historiograph der Bayerischen Benediktinerkongregation verfasste er u. a. die zweibändige Geschichte der Diözese Freising und die lateinische Chronik des Benediktinerstifts Benediktbeuren.
Im Hartmannhaus selbst, diesem historischen Bauernhof, begrüßt uns Klaus Rohe. Mit einem Gläschen Himbeerwein aus der Allgäuer Gebirgskellerei von Carsten Hell in der Hand, schlendern wir durch das museale Anwesen, das zur Zeit innerlich umstrukturiert wird, um es – nach längerer Pause – der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.
Das Gebäude wurde bereits Mitte des 16. Jahrhunderts als „Sölde“ genutzt. „Sölde“ nannte man, zur Unterscheidung von einem Hof, kleine Landwirtschaften mit integriertem Handwerksbetrieb.
Küche, Kulinarik, Marktoberdorf. Köstlichkeiten am laufenden Band. Die besondere Stadtführung durch Marktoberdorf geht weiter. Mit einem Trinkspruch weist Norbert Köser darauf hin, dass man im Marktoberdorfer Hartmannhaus auch heiraten kann. Und er erzählt eine zauberhafte Liebesgeschichte. Vom Kohl, der sich unsterblich in eine Rose verliebt hat. Und an deren beider Glück bis heute der Rosenkohl die Feinschmecker erinnert.
Jetzt wird es aber Zeit für die Hauptspeise! Norbert Köser achtet immer auch, dass wir über alle den angeregten Gesprächen die Zeit nicht aus den Augen verlieren. Denn wenn wir deutlich zu spät in den jeweiligen Gasthäusern ankommen, ist das ja exklusiv für uns frisch zubereitete Essen vielleicht schon nicht mehr ganz so auf den Punkt frisch und heiß, wie der Koch es uns eigentlich servieren will.
Spargel-Pfannkuchen in den Schalander-Stuben
Und das wäre nun beim (mehrfach) ausgezeichneten Gasthof „Zum Burger“ besonders bitter, wo uns die Kellnerinnen in der bekannten Schalander-Stube mit wunderbar gewürzten Spargel-Pfannkuchen verwöhnen. Dazu gibt es – nach Wahl – ein Bier oder eine Johannisbeer-Schorle. Und eine kleine Tischrede von Norbert Köser, der daran erinnert, dass im alten Oberdorf maximal einmal pro Woche Fleisch auf den Tisch kam. Und dass es in den Familien meistens keine Teller gab.
Das Essen wurde von der Mutter in einer hochrandigen Schüssel auf den Tisch gestellt, aus der dann alle löffelten. Gelegentlich – in den ärmeren Haushalten, hatte der Tisch aber auch Dellen, aus denen die Kinder die Suppe löffelten.
„Was bedeutet eigentlich Schalander“, frägt eine Teilnehmerin unseres Suchtrupps nach Omas fast schon vergessener Kochkunst. Die freundliche Bedienung gibt Auskunft: „Der Schalander ist der Raum in einer Brauerei, in dem sich die Arbeiter umziehen und während der Pausen aufhalten. Heute wird der Schankraum oder Bierverkostungsraum einer Brauerei oft so genannt. Und hier beim „Burger“ gibt es auch traditionell selbst gebrautes Bier…“
Auch wenn eine zweite oder dritte Halbe durchaus verlockend wäre, Norbert Köser bittet wieder zum Aufbruch. Die Zeit vergeht wie im Flug und der Abend ist schon fortgeschritten. Ein etwas längerer Bummel durch die Straßen der Stadt bringt uns zur letzten Station unserer Feinschmecker-Tour: beim „Blochum“, wie die Oberdorfer sagen, also im „Traditions-Gasthaus Zum Hirsch“, dem Geburtshaus des berühmten Baumeisters Johann Georg Fischer (1673), warten zur Abrundung des kulinarischen Angebots aus der Küche der Oberdorfer Oma köstliche Dukaten-Buchteln auf uns.
Ofennudeln oder Rohrnudeln sind ursprünglich ein böhmisches Gericht, das uns jetzt drei freundliche junge Damen im Dirndl vorsetzen. Dazu gibt’s – auch ein Allgäuer Klassiker – ein frisches, leicht säuerlich schmeckendes Rhabarberkompott.
Herz was willst du mehr! Liebe geht durch den Magen. Vielleicht noch ein Eckerl vom üppigen Käsebrett? Ein Glaserl Wein dazu? Vielleicht ein zweites?
Norbert Köser zitiert zum Abschluss unserer Genuss-Tour Wilhelm Busch:
Kritik des Herzens
Es wird mit Recht ein guter Braten
Gerechnet zu den guten Taten;
Und dass man ihn gehörig mache,
Ist weibliche Charaktersache.
Ein braves Mädchen braucht dazu
Mal erstens reine Seelenruh,
Dass bei Verwendung der Gewürze
Sie sich nicht hastig überstürze.
Dann zweitens braucht sie Sinnigkeit,
ja, sozusagen Innigkeit,
Damit sie alles appetitlich,
Bald so, bald so und recht gemütlich
Begießen, dreh‘n und wenden könne,
Dass an der Sache nichts verbrenne,
In Summa braucht sie Herzensgüte,
Ein sanftes Sorgen im Gemüte,
Fast etwas Liebe insofern,
Für all die hübschen, edlen Herrn,
Die diesen Braten essen sollen
Und immer gern was Gutes wollen.
Ich weiß, dass hier ein jeder spricht:
Ein böses Mädchen kann es nicht.
Drum hab‘ ich mir auch stets gedacht
Zu Haus und anderwärts:
Wer einen guten Braten macht,
Hat auch ein gutes Herz.
Die Welt ist schön. Gut Essen macht glücklich. Und die imaginäre Oberdorfer Oma war eine hervorragende Köchin. Da sind sich alle einig, denen Norbert Köser zum Abschluss eine „Greinwald“-Praline als Betthupferl überreicht und ein mit Lust, Liebe und viel guter Laune erworbenes Zertifikat über die „erfolg- und genussreiche Teilnahme“ an der nostalgisch-kulinarischen (Ver-)führung in der heutigen Kreisstadt Marktoberdorf.
Informationen zu den verschiedenen „Kulinarischen Führungen“ und anderen Kultur-Highlights in Marktoberdorf quer durch den Jahreskreis gibt’s aktuell unter: www.touristik-marktoberdorf.de