22.

Okt

Erntedank, ein Herbst vor 200 Jahren im Allgäu

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Im Frühjahr dieses Jahres wurde überall an Karl von Drais erinnert, dem Erfinder des Rads. Heute ist das Rad aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, wie unter anderem der Radtourismus zeigt. Umso tiefer traf mich der Hinweis, dass das Rad erfunden wurde, weil Pferde verhungert waren. Man brauchte Ersatz.  Und wenn Pferde verhungerten, dann hungerten auch Menschen. Der Verflechtung zwischen Witterung und Landwirtschaft, damit der Abhängigkeit zur Natur, war den Menschen bewusst. Heute erinnert uns gelebtes Brauchtum mit Erntedank daran.

Erntedank 2017 – in Erinnerung an die Hungerskatastrophe von 1817

Hunger, für uns heute unvorstellbar. Vor 200 Jahren aber Auslöser für Krankheit und Tod.  So lag die Sterblichkeit in Bayern mancherorts gar bis 13 Prozent über dem Durchschnitt. Viele sahen sich gezwungen ihre Heimat zu verlassen. Das Denkmal „Gib uns heute unser tägliches Brot 1817 – 1917“ in Kronburg erinnert an diese Zeit. Die Jahreszahl 1817 weist auf den Höhepunkt und das Ende der Hungersnot hin: Im Juli erreichten die Getreidepreise teilweise das Achtfache, aber endlich konnten im Herbst wieder erste Ernten eingefahren werden. Nie wurde Erntedank feierlicher begangen, so heißt es in vielen Berichten.  Und so entstand ein Brauchtum, der Erntedank-Zug, die Erntedankfeier, wie sie heute noch in manchen katholischen Regionen gefeiert werden. Wie hier in Kronburg-Illerbeuren: Vom Denkmal „Täglich Brot“ folgten 100 Menschen der Prozession in die Kirche.

Auch werden die Altäre wunderschön geschmückt, wie hier die St. Leonhard-Kapelle im Schwäbischen Bauernhofmuseum Illerbeuren.

1816 Das Jahr ohne Sommer

In der Bevölkerung keimte 1817 wieder Hoffnung auf:  1815 endeten die Napoleonischen Kriege, damit auch die entbehrungsreichen Jahre und man hoffte auf bessere Zeiten. Doch stattdessen kam 1816 nun noch das Jahr ohne Sommer hinzu. Kälte, Regen und Schnee ließen die Saat im Boden verfaulen. Damals wurde im Allgäu noch Ackerbau zumeist  für den Eigenbedarf betrieben, Milchwirtschaft gab es noch nicht. Der Preis fürs Korn und Früchte stieg ins Unermessliche. Hunger, Armut und mancherorts auch Tod waren die Folgen.  „Der Himmel entzog der Erde seinen Segen“ – beschrieb der Legauer Vikar Wendelin Rid in seinen Aufzeichnungen die Lage treffend und meinte damit das Elend und die Not der Jahre 1816 bis 1817.

Kulturelle und soziale Folgen der Hungerjahre

Viele ernährten sich mangels Fleisch, Brot oder Milchprodukten von Brennnesseln, Blättern, Heu, Klee,  wildwachsenden und oftmals ungenießbaren Kräutern, Gräsern und Wurzeln. Dass dieser Ernährungsmangel zu Folgekrankheiten und letztlich auch zum Tod führte, kann man sich vorstellen. Zumal auch das Brennholz unerschwinglich war und in dem kalten Jahren 1816 und 1817 ständig fror.  Stehlen um zu überleben war für viele eine letzte Möglichkeit. Berittene  Soldaten bewachten Felder.  Mit dem zunehmenden Mangel an Grundnahrungsmitteln verschärfte sich auch die Teuerung.

Preissteigerungen um das Achtfache

Die Preise stiegen drastisch auf das Sechs- bis Achtfache. Brote kosteten gleich, wurden aber entsprechend kleiner. Anstelle 240 Gramm wog eine Semmel nur noch 35 Gramm.  Um aber überhaupt auf das Gewicht zu kommen, wurde das Mehl mit Kleie, Sägemehl, Knochenmehl und ähnlichem gestreckt. Auch wenn der Nährwert und Geschmack deutlich litt, der Magen wurde gefüllt.  Im Museum der Brotkultur in Ulm ist so ein „2 Kreuzer-Wecken“ zu sehen der 1817 gebacken wurde und nur 35 Gramm wog.

Auf Getreide wetten: Spekulationen verstärkten die Not

Lange wurde die Spekulation mit Getreide nicht gestoppt. Staatliche Getreideaufkäufe zugunsten der hungernden Bevölkerung gab es kaum. Kleinere Protestaktionen und Aufstände in manchen Städten gegen den Wucher wurden durch das Militär unterdrückt. Die Staatsregierung verbot zudem der verzagten Bevölkerung sogar das Abhalten der, ihrer Meinung nach, abergläubischen kirchlichen „Bräuche“ wie Wallfahrten, Bittgänge und  Bittgottesdienste.  Das allerdings war die einzige Hoffnung für die notleidende Bevölkerung. Denn im Zuge der Säkularisierung wurden nicht nur Klöster, sondern auch kirchliche Fürsorgeeinrichtungen aufgelöst.  Jahrhundertelang stützen sie die Armen und fehlten nun. Schließlich  reagierte König Max I. Joseph von Bayern:  Kommunen wurden gesetzlich verpflichtet, Arme zu unterstützen, erste „Suppenanstalten“ wurden gegründet.  König Max I. Joseph von Bayern lässt in Russland Getreide kaufen und bietet es unter anderem auch im Allgäu verbilligt zum Kauf an. Und 1817 wurde es wieder wärmer. Doch bis dahin trieb der Hunger Tausende Menschen zur Auswanderung, vorwiegend nach Amerika und Weißrussland.

Hungerjahre 1816 und 1817:  Folge des größten Vulkanausbruchs in der Menschheitsgeschichte

Das Jahr ohne Sommer war die Folge des wohl größten Vulkanausbruchs in der Menschheitsgeschichte. 1815 brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus. Die Eruption beförderte unglaubliche Mengen an Feinpartikeln in die Atmosphäre. Das war der Grund für Kälte, Regen und Schnee.

Mineraldünger und Stallfütterung

Als Folge der Hungerskatastrophe veränderte sich die Landwirtschaft. Justus von Liebig erkannte die Notwendigkeit der Agrochemie, wie beispielsweise den Mineraldünger. Ach wurde die Stallfütterung eingeführt. 1817 wurde in Stuttgart der „Landwirtschaftlichen Verein zur Verbesserung der Anbaumethoden“ gegründet und  ein Jahr später eine Landwirtschaftsmesse mit Fest, heute bekannt als Cannstatter Wasen. Um 1818 wurden Sparvereine, Vorläufer der jetzigen Sparkassen, gegründet. Auch wurden eigens Hungertaler in Umlauf gebracht: Durch den Verkauf wurden karitative Ausgaben ermöglicht. Und weil auch Pferde verhungerten, erfand 1817 Karl von Drais in Karlsruhe das Laufrad, damit das Ur-Fahrrad.

Apokalyptische Stimmung beeindruckte Künstler wie Johann Wolfgang von Goethe und Caspar David Friedrich

Die düsteren Regenwolken und Staubschleier erzeugten eine apokalyptisch Stimmung, welche seinerzeit Johann Wolfgang von Goethe in diesem Vierzeiler zusammenfasste: „Du versuchst o Sonne vergebens / durch die düstren Wolken zu scheinen. / Der ganze Gewinn meines Lebens ist, /  ihren Verlust zu beweinen.“ 

Auch Maler ließen sich inspirieren:  Schien an den wenigen Tagen die Sonne, so wurde die Strahlung durch die Asche- und Staubpartikel verändert. Vor allem die langwelligen, rötlichen Anteile wurden sichtbar, insbesondere die Sonnenuntergänge wurden intensiv.  Auf den Bildern mancher zeitgenössischer Landschaftsmaler sind die grandiosen Farbtönungen des Tageslichts von damals wiedergegeben. William Turner und Caspar David Friedrich waren mit ihren Bildern unwissentlich Chronisten der Katastrophe.

Und so wurde auch das diesjährigen Erntedankfest ein besonderes, über 100 Menschen folgten der Einladung der Illerwinkler Vereine und Pfarrgemeinschaft: Beginnend mit einer Andacht und einer Prozession vom „Täglich Brot“ zur Kirche, wobei D´Hiatabuaba und die Musikkapelle Kronburg – Illerbeuren mit Erntedankwagen und der jeweiligen Tracht sowie die Ministranten mit Fahnen einen wahrlich festlichen Rahmen bildeten.  Gemeinschaftlich wurde auch der Gottesdienst in Kronburg gefeiert. Der ergänzende Vortrag von Prof. Dr. Thierer, Leutkirch, erläuterte die Hintergründe der Hungerjahre. „Gib uns heute unser tägliches Brot“ – was uns heute eine Selbstverständlichkeit ist, kann jederzeit enden. Dieses gemeinsame Erntedank – Fest erinnerte uns daran.

Obelisk ist außergewöhnlich

Dieser außergewöhnliche Wegweiser in Form eines Obelisken,  gibt es in Bayern  nur noch ein weiteres Mal, damals im Ries aufgestellt durch den  Fürsten Oettingen-Wallerstein.  Hier im Allgäu zeichnete sich wohl die damalige Herrschaft von Kronburg aus:  Im gleichnamigen Schloss Kronburg lebt  Theodor Baron von Vequel-Westernach, das Renaissance-Schloss ist übrigens seit 1619 in  Familienbesitz.

 

  1. Ernst Limbach sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    auf der Suche nach dem Denkmal „Täglich Brot“ stieß ich nun auf diesen Beitrag, der doch in gewisser Weise an den Sommer 2018 erinnert. Damals war die Ursache ein Vulkanausbruch und jetzt ist es der Klimawandel.Dazu passt der der Satz : Als Folge der Hungerskatastrophe veränderte sich die Landwirtschaft – auch jetzt stehen Änderungen an. (m.E. nur ein Verweis von vielen)
    Mit freundlichen Grüßen
    Ernst Limbach

    • Sehr geehrter Herr Limbach, zunächst einmal schön dass Sie sich für dieses Denkmal und Geschichte interessieren. Der Mensch vergisst gerne was vor noch nicht all zu langer Zeit geschehen ist. Und Sie haben Recht, Änderungen in der Forst- und Landwirtschaft sind zu beobachten. Mit freundlichen Grüßen, Simone Zehnpfennig

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