Kultur-Landschaft von Marktoberdorf bis Kaufbeuren
Im Schlosspark Radeln. Das hat schon was. Stadt, Land, Fluss. Gerade jetzt im Herbst, wo sich an den Ufer-Hangleiten der Wertach die Wälder zu bunten Baldachinen wandeln. Und die vielfältige, abwechslungsreiche Kultur-Landschaft zwischen Marktoberdorf und Kaufbeuren zum Verweilen einlädt. Eine Traum-Etappe auf der „Radrunde Allgäu“.
Mitte Oktober. Es ist für die Jahreszeit zu warm. Ein wunderschöner, geschenkter Sommertag in Marktoberdorf. Die Kulisse in den Parks und Grünanlagen rund ums Rathaus, erst recht draußen in freier Natur, gibt sich schon herbstlich bunt, die Wälder wirken wie frisch tapeziert und auf den Bergspitzen leuchtet weiß der erste Schnee. Ein Tag wie gemacht dafür, dass ich noch einmal mein Tourenrad aus dem Keller hole und mich auf den Weg mache – in die Nachbarstadt Kaufbeuren.
Marktoberdorf, die Kreisstadt des Ostallgäus, gibt sich mystisch. Am Kuhstallweiher muss man nur dreimal laut Klobunzele rufen und auf das Erscheinen des sagenhaften Kobolds warten. Mir gefällt die Story vom Zauberer Frastini, der mit dem Feuer gespielt und ein Hochwasser zurückgedrängt haben soll. Fakt ist, dass Kurfürst Clemens Wenzeslaus unserer sympathischen Kleinstadt den Sinn für Musik und Theater als Erbe mitgegeben und das Naturdenkmal Lindenallee geschaffen hat.
Ich habe mir die Streckenkarte vom MOD nach KF aus dem Internet geholt und vor mich auf den Lenker gespannt: nur mit T-Shirt und einer leichten Windjacke bekleidet, gleite ich noch ohne Anstrengung die Bahnhofsstraße entlang, passiere die Kreisel-Baustelle an der Aitranger Straße und freue mich darüber, dass es vom Landratsamt bis zur Grüngut-Sammelstelle fast durchwegs Radwege gibt.
Zahlreiche Wegkreuze laden zu einem „Grüß Gott“ ein
Wieder einmal fällt mir auf, wie wenig man von der Landschaft sieht, wenn man mit dem Auto reist. In einem Schlosspark sollte man halt unbedingt zu Fuß unterwegs sein oder mit dem Rad. Denn nur so – in gemächlichem Tempo – fallen die zahlreichen Wegkreuze ins Auge, die entlang der Allee zwischen dem Wertstoffhof Marktoberdorf und Ebenhofen aufgestellt wurden. Ein „Grüß Gott“ im Vorbeifahren ist selbstverständlich. Genauso selbstverständlich, wie der Abstecher ins „Hirtenmuseum Ebenhofen“ an der Schwabenstraße 20: einzigartig in seiner Art, liebenswert eingerichtet und absolut sehenswert.
Ihnen zuerst verkündigten Engel die Geburt des Jesuskindes im Stall von Bethlehem: den Hirten. In der Weihnachtsgeschichte haben sie eine Hauptrolle. Im historischen, denkmalgeschützten „Baschtlehaus“ auch: Im typischen Allgäuer Mitterstallhaus aus dem 17. Jahrhundert mit arg steilen Treppen und knarzenden Dielenbrettern ist Südbayerns einziges Hirtenmuseum untergebracht. Die Ausstellung zeigt das harte Leben der Allgäuer Gemeindehirten zur Zeit der kollektiven Weidewirtschaft, die sich bis ins frühe Mittelalter nachweisen lässt. Vom harten Leben eines Berufsstandes am Rande der Gesellschaft ist die Rede. Geöffnet ist jeden ersten Sonntag im Monat von 14.00 bis 16.00 Uhr.
Die Hirtenbruderschaft „Zum Schwarzen Skapulier“
Hirten hatten medizinisches Wissen und waren der Kirche suspekt. Schon wegen des Bockhorns auf dem sie ihre Signale bliesen. Sie führten ein randständiges, armseliges, hoffnungsloses Leben und galten als Habenichtse und Außenseiter; sie wurden von der Gesellschaft gemieden und missachtet.
Sie schliefen irgendwo zwischen Stall und Milchkammer auf einem Strohbett, zugedeckt mit Rupfensäcken, und waren froh um Almosen, die vom Bauerntisch abfielen. Sozialgeschichte behandelt die 1719 in Ebenhofen gegründete, auf den übergeworfenen Hütemantel bezogene Hirtenbruderschaft „Zum Schwarzen Skapulier“.
Auf den Wiesen genießen auch die Kühe noch die letzten Tage in „Freiheit“, die Bauern haben da und dort noch einmal gemäht. Das letzte frische Grün ist eingefahren. Über weites Feld, jetzt sogar mit Rückenwind, strampele ich parallel zum „Sagenhaften Weg“ mit all seinen spannenden Stationen auf Biessenhofen zu. Ich folge den Emblemen für die „Allgäuer Radrunde“. An manchen Kreuzungen ist es auch nur ein grüner Pfeil bzw. ein kleines grünes Fahrrad, das die Richtung angibt.
Am Bahnhof von Biessenhofen muss man genau hinschauen, um den durchgängig angebotenen Fahrradweg nicht zu verpassen. Löblich, dass der Gehweg im Ort auch von Radfahrern benutzt werden darf. Mir fällt ein, dass hier in Biessenhofen Schlosspark-Besitzer Ludwig II. öfter den königlichen Eisenbahnwagen verlassen hat und auf die bereitstehende Kutsche umgestiegen ist, die ihn nach Hohenschwangau brachte.
Rechts bleibt der Betrieb von „Nestlé“ liegen. Die Route führt auch nicht am bekannten zur „Bärenmarke“ passenden Bärensee vorbei, sondern durch die Eisenbahn-Unterführung und dann nach links – weg von der Straße. Es wird wieder beschaulich auf einem Radweg, der – mitten unter der Woche – überraschend gut befahren ist. In der leichten Abfahrt vor der zweiten Straßenunterführung nach Biessenhofen leitet mich das kleine grüne Rad mit Linkspfeil von der Straße nach Kaufbeuren weg. In die Ruhe, zu den Äckern, aufs weite Feld.
Der Weg weicht dann nach links ab. Man fährt in eine zauberhafte Allee ein. Goldgelbes und kupferrotes Laub raschelt unter den Stollenreifen. Ein besonders naturnaher, besonders schön zu fahrender Abschnitt, sogar mit einem leichten Anstieg drei/vier Kilometer vor Kaufbeuren, dem einzig spürbaren auf der technisch leichten, 13,6 Kilometer langen Strecke. Dann rollte man fast schwerelos an Birken, Buchen und bunten Hecken entlang dem Stadtrand von Kaufbeuren entgegen.
Der Wind sorgt für Fahrgeräusche. Meine Jacke flattert. Und so höre ich den von hinten heranbrausenden Zug aus Füssen gar nicht, der fast zeitgleich mit mir den Bahnhof von Kaufbeuren erreicht. Orange leuchtet eine Hausfassade entgegen, der Turm der Stadtpfarrkirche wird zum Wegweiser. Am „Saloon Santa Fee“ und an der „Märzenburg“ vorbei, beides sind kleine, einladende Lokale, führt mich meine Radkarte auf Nebenwegen ins historische Herz der Stadt.
Vier-Sterne-ADFC-Qualitätsrunde
Die Runde muss ins Eckige. Und die Rede ist nicht von Fußball. Sie ist noch ziemlich neu – die Radrunde Allgäu. Sie führt aber in die schönsten Ecken. Zum Lautenbau in Füssen, zum Honigschlecken nach Seeg, ins Geschichten reiche Marktoberdorf oder eben zur Heiligen Creszentia nach Kaufbeuren.… Sie ist schon deshalb ganz anders, weil sie ohne Anfang und Ende ist, weil man überall jederzeit ein- oder aussteigen kann. Anschluss an Bahn oder ÖPNV inklusive. Mit unzähligen Geschichten auf 450 Kilometern. Mein kurzer Ausflug nach Kaufbeuren ist da ja nur ein Gusto-Stückerl dieser empfehlenswerten Vier-Sterne-ADFC-Qualitätsrunde in traumhafter Natur.
Die frühere freie Reichsstadt Kaufbeuren ist zurecht stolz auf ihren Fünfknopfturm, auf das Feuerwehrmuseum, auf den wunderbaren Wochenmarkt – immer donnerstags in der Kaiser-Max-Straße. Jetzt im Herbst mit Kürbissen von Medizinballgröße. Und auf die Heilige Crescentia. Im Jahr 2001 wurde Crescentia von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen. Sie ist die erste deutsche Heilige des 3. Jahrtausends. Und das Kloster auch ein Ziel auf der Radrunde Allgäu.
Von der im Jahr 1682 geborenen und 1744 gestorbenen Webertochter Anna Höß ging eine faszinierende Wirkung aus. Bereits zu Lebzeiten war sie eine Berühmtheit, deren Ruf sich weit über die Landesgrenzen hinaus erstreckte. Als Ordensschwester und spätere Oberin des Klosters der Franziskanerinnen wurde sie für unzählige Menschen zur hilfreichen, wegweisenden Seelenführerin und Trösterin.
Das Crescentia-Kloster ist auch für mich in meiner bunten Radlerkluft an diesem wunderschönen, sonnigen Mittag die richtige Anlaufstation. Zum einen ist da der einladende Trinkbrunnen und zum anderen führt ein kleines Türchen gegenüber der Klosterkirche in den Franziskus-Garten: der besinnliche, blumen- und blütenreiche, steil nach oben gerichtete besinnliche Klostergarten ist – so erzählt mir – lächelnd auf einer Bank sitzend, Schwester Daniela, Pastoralreferentin und Religionslehrerin an der Schrader-Grundschule, „ein überkonfessioneller, überreligiöser Ort der Ruhe, des Friedens und des Glaubens“.
2011 hat Kaufbeuren 750 Jahre Kloster gefeiert und zehn Jahre Heilige Crescentia. Der Crescentia-Pilgerweg wurde entwickelt und so die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den rund 40 Franziskanerinnen im Konvent und dem Tourismusamt der Stadt auf den Weg gebracht. Der Franziskus-Garten wird von einem Team an ehrenamtlichen Helfern gepflegt und unterhalten. Josef Unsinn ist für die gärtnerische Planung verantwortlich. Die Kaufbeurer und ihre Gäste schätzen die duftende Oase mitten in der Stadt.
Das Musikzimmer des lieben Gottes
Mein Rad lehnt draußen in der Fußgängerzone an einer Mauer. Ich bin noch am Überlegen, ob ich zurück nach Marktoberdorf strampeln oder doch besser den Zug nehmen soll. Mittlerweile herrscht nämlich ein ziemlich heftiger föhniger Gegenwind. Aber ich komme auf alle Fälle wieder: spätestens wenn im nächsten Sommer wieder jeden Sonntagnachmittag von 16.00 – 17.00 Uhr Chöre aus der Region kostenlose kleine Konzerte im Franziskus-Garten geben. Der von steilen Wegen durchzogene Garten ist auch wegen seiner guten Akustik so etwas wie das Musikzimmer des lieben Gottes.
Mein Geheimtipp – auch für die Marktoberdorfer!
————————————————————————————————————————–
Informationen zur „Radrunde Allgäu“, zum „Sagenhaften Weg“, zu aktuellen Veranstaltungen und Themenführungen quer durch den Jahreskreis gibt’s aktuell unter: www.touristik-marktoberdorf.de