Achtsam im Allgäu: Kraftorte. Das Wurzacher Ried
Im Allgäu machen wir besondere Erfahrungen – erleben die Kraft der Ruhe, die Herzlichkeit der Menschen, die Schönheit der Natur und das Glück tiefen Schlafs. Im Konzept der Achtsamkeit Allgäu werden diese Erfahrungen gebündelt. Und wir machen uns auf, darüber zu berichten. Das Wurzacher Ried ist nicht nur ein Kraftort, sondern eines der bedeutendsten Hochmoore Mitteleuropas. Wir nehmen Platz im Torfbähnle – und fahren in die Vergangenheit. Damals hatte ein eisiger Besucher das Land im Griff…
Jetzt nestelt sie ein großes, seltsam geformtes Stück Styropor aus ihrem Leinenbeutel und legt es auf den Boden. Petra Wolz schiebt ihr Gletschermodell vor und zurück. Weiße Kügelchen lösen sich, Sand und Steinchen beginnen einen Wall zu bilden. „Der Rheingletscher war ein Gigant“, sagt die Naturkundlerin, neben der wir am Bahnsteig kauern. Zuletzt hat sich dieser Eispanzer vor rund 20.000 Jahren aus den Schweizer Alpen kommend über das Land geschoben. Bis zu 1.200 Meter mächtig war die Eisschicht. Ihr unvorstellbares Gewicht hat Mulden hinterlassen, in denen sich das Schmelzwasser sammelte. Seen entstanden. Daraus entwickelten sich auch Hochmoore wie das Wurzacher Ried. Das Schau-Gletscher wird verstaut, die weißen Kügelchen werden eingesammelt. „Auf gehts, der Zug wartet.“
Die Fahrt mit der kleinen Bahn ins Moor wird zur Erkundungsreise
Ein Besuch im Wurzacher Ried macht mit einer einzigartigen Landschaft vertraut – und mit einem besonderen Kraftort des Allgäus. Hat die Styropor-Platte die Macht des Gletschers veranschaulicht, erzählt das Torfbähnle von der Hochzeit der Moornutzung. Schon römische Gelehrte berichteten von der seltsamen, „brennenden Erde“ in Deutschland. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Torf in industriellem Stil abgebaut. Vor uns verlieren sich die Schienen im sonnenlichtdurchfluteten Birkenwald. Dann rumpelt das Bähnle los. Und mag die Schmalspurbahn auch Sinnbild sein für die Bedrohung dieser schönen Naturlandschaft, die Fahrt mit den kleinen Wagen ist ein großes Vergnügen.
Der Zug wackelt und tanzt nun in Wald hinein. Vorbei an dunklen Wassern, Wollgras und Büschen, an rötlichem Torfmoos und pinkfarbenen Sumpfrosmarin, Pfeifengras und Orchideen, Rotföhren und Moorbirken. Die Sonne lässt die Luft über den welligen Schienen flirren. Und doch fühlt sich der Wald frisch an. Das rund 18 Quadratkilometer große Ried hat sein eigenes Klima, es ist generell kühler, regenreicher und nebliger als das Umland. Heute aber ist es warm. Das Laub wispert in den Bäumen. Libellen schwirren um den Zug. Metall rumpelt auf Metall. Man ertappt sich dabei, dass man ewig so fahren könnte. Nach wenigen Minuten sind wir am Ziel.
Ein blauer Kran, Kipploren, von Gras überwachsene Waggons mit aufgestapeltem Torf, als hätte man sie fluchtartig zurück gelassen. Von 1920 bis 1962 wurde hier Brennmaterial abgebaut. Das Museum am Eingang gibt einen Einblick in eine harte Arbeitswelt des Torfabbaus. Und erzählt von den Anstrengungen der Renaturierung. Systematisch wurde das für den Torfabstich trocken gelegte Moor wieder vernässt. Heute gilt das Wurzacher Ried als eines der größten intakten Hochmoore Mitteleuropas. Es wurde im Jahr 1989 mit dem Europa-Diplom ausgezeichnet.
Petra Wolz nimmt uns mit auf den Torf-Lehrpfad. Wir begegnen einigen charakteristischen Pflanzen: der Mittlere Sonnentau, der so hübsch aussieht, aber zu den wenigen Fleischfressern der Flora gehört, und den Bäumen des Moors: Faulbaum, Birken und Moorkiefern, die dem Torfboden die Festigkeit geben. Wir sehen Stümpfe von abgestorbenen Fichten die am Wasserüberschuss eingegangen sind. Die Besenheide, die das Land bedeckt, und verschleiert, wie matschig und feucht der Boden ist. Zur Illustration nimmt Petra nun einen Ballen „Erde“ auf und wringt ihn aus.
Bei Limonade philosophieren wir über diesen Kraftort im Allgäu
Schließlich sitzen wir auf einer windschiefen Bank und schauen in dieses Kleinod. Ein Moor ist Sinnbild für Leben und Vergehen, für die üppige Lust am Sein, für das Zuviel und das Wiedererstarken. Das Wurzacher Ried ist ein wunderbarer Kraftort in der Achtsamkeit Allgäu. Wir sitzen zum Abschied unter den großen Sonnenschirmen der Gastwirtschaft und gönnen uns eine Limonade. Eiswürfel klimpern im Glas. Eine Reminiszenz an die Vorzeit. Etwa 250 Meter hätte hier, wo wir uns gerade ausruhen, der letzte Gletscher, der diese einzigartige Landschaft geformt hat, über unseren Köpfen noch aufgeragt.
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