Wir feiern den berühmten Allgäuer – und machen uns auf die Suche nach der Wirkkraft, die die Lehre von Sebastian Kneipp heute noch hat. Dafür bereisen wir ausgewählte Orte im Allgäu. Zum Beispiel: Ottobeuren. Und wir fragen uns: Was ist der Antrieb eines Menschen?
Schon dieser Sound! Der Wanderweg folgt der Westlichen Günz, einem sanft vor sich hin singenden Bach. Der schmale Pfad führt über eine Eisenbrücke, auf der unsere Schritte einen dezenten Takt schlagen. Der leichte Wind streicht durch die am Ufer stehenden Birken und lässt die Blätter rhythmisch rasseln. Beschwingt von diesem Soundtrack schreiten wir voran und bleiben nach 15 Minuten auf einer Anhöhe stehen. Nun geht der Blick zurück auf Ottobeuren, auf die beiden Türme der Basilika, auf die Benediktiner-Abtei. Der Sound, das Bild, die sich sanft wiegenden Ähren – das macht was mit einem.
Mit Abt Johannes sprechen wir über den Antrieb des Menschen
200 Jahre Kneipp. Auf der Suche nach der Bedeutung, die die Lehre von Sebastian Kneipp heute noch hat, sind wir auf dem Weg in den Geburtsort Kneipps. Stephansried gehört zu Ottobeuren. Ein Wanderweg verbindet die beiden Orte. Will man eine Antwort finden auf die Frage nach „Kneipp heute“, macht es Sinn dorthin zurück zu gehen, wo alles angefangen hat. Doch noch bevor wir uns auf den Weg machen zu jener Stelle, an der das Geburtshaus Kneipps gestanden hat, sitzen wir in der Benediktinerabtei mit Abt Johannes an einem Tisch und sprechen über den Antrieb des Menschen.
Wenn der Abt durch das beeindruckende Kloster Ottobeuren führt, dann merkt man ihm an, dass er schon mehrfach die Pracht hat erklären müssen, dieses „Schwäbischen Escorials“, wie die Benediktinerabtei in Anspielung auf die imposante Anlage in Madrid auch genannt wird. Zwischenzeitlich, so Abt Johannes, war das heute mehr als 1.250 Jahre alte Kloster auch ein weltlicher Ort: Zum Herrschaftsgebiet zählten fast 30 Dörfer, einst lebten hier 50 bis 60 Mönche. Das Kloster war Reichsabtei und gab immer wieder große Empfänge. Mit dem repräsentativen Kaisersaal zeigte die Abtei ihre politische Bedeutung, mit einer gewaltigen Bibliothek ihre kulturelle Relevanz. Heute umfängt einen der dreiflügelige Barockbau mit der Ruhe der Zeit.
Kein Fernseher lenkt ab von der Aura, die dieser Ort ausstrahlt
Ein Teil der Klosteranlage wird inzwischen als Gästehaus betrieben. 35 Zimmer stehen zur Verfügung. Es sind schlicht-schöne Räume, die von langen hohen Fluren abgehen und einen Blick in den stillen Klostergarten gewähren. Kein Fernseher lenkt ab von der Aura, die dieser Ort ausstrahlt, von der Kontemplation, die hier möglich ist, es gibt keinen Wlan-Empfang. Abt Johannes verweist auf diverse Angebote: die Möglichkeit, Tage der Stille im Kloster zu verbringen. Er lächelt milde: „Manche Gäste sehen das als Herausforderung, als eine Art Mutprobe.“
Wer den Tag im Kloster verbringen will, muss sich auch dem Zeitmaß der Mönche unterwerfen. 5:30 Uhr Morgengebet, 8 Uhr Frühstück, 12 Uhr Mittagsgebet, 12:15 Uhr Mittagessen, 18 Uhr Abendgebet, 18:30 Uhr Abendessen. Spätestens um 22 Uhr beginnt für die 15 verbliebenen Mönche die Nachtruhe. Da falle es vielen Gästen leichter, sich auf die Spuren Sebastian Kneipps zu begeben. Er wurde in der Basilika getauft und gefirmt. Und hat da als Neupriester seine erste Heilige Messe gefeiert. Diverse Wanderwege verbinden Ottobeuren mit Kneipps Lebensweg, sie führen nach Bad Grönenbach, nach Bad Wörishofen und nach Stephansried.
Eine große Treppe führt in die licht-lebendige Innenstadt Ottobeurens
Wir besuchen die Basilika St. Alexander und St. Theodor mit ihren markanten Türmen und der hohen Kuppel, mit ihrer barocken Pracht und der ausgemalten Decke. Danach geht es über die große Treppe in die licht-lebendige Innenstadt Ottobeurens. Ein Eiscafé, eine Brauerei und ein minimalistisches Museum für Moderne Kunst, in dem eine Ausstellung mit Fotos der Projekte des berühmten Künstlerehepaares Christo und Jeanne-Claude zu sehen ist. Die beiden haben ikonische Gebäude und Orte verpackt – und so auf besondere Weise sichtbar gemacht. Auch Menschen mit einem besonderen Antrieb.
Inzwischen hat uns der Kneipp-Weg durch Wälder geführt, über Lichtungen und zu schönen Aussichten in das Unterallgäu. Manchmal kann man die Alpen sehen. Und nun kommen wir an der kleinen Kapelle in Stephansried heraus. Wenige Schritte dahinter stand das Haus, in dem Kneipp geboren wurde, in dem er seine arbeitsreiche Kindheit verbracht hat. Ein Obelisk erinnert an die Geburtsstätte, ein paar frische Blumen an das Jubiläum. Unweit wurde ein Wassertretbecken gebaut. Durch die Bäume blitzt der blaue Himmel. Ein Moment lang glaubt man, sie zu spüren, die Magie, die einen Menschen antreibt.
Besuch der Volkssternwarte von Ottobeuren
Am Abend stehen wir am Teleskop der Volkssternwarte von Ottobeuren. Wolken huschen durch den Himmel, Blitze leuchten in der Ferne. Vor allem aber beeindruckt die tiefe Dunkelheit, die über dem Hügel oberhalb der Stadt liegt. Das Firmament funkelt. Wie wird es hier wohl vor 200 Jahren ausgesehen haben? Wie wird es in 200 Jahren aussehen? Der Blick in die Sterne ist gleichsam ein Blick in die Vergangenheit, braucht das Licht doch viele, viele Jahre, um die Erde zu erreichen, wie auch Hoffnung für die Zukunft. Es ist besonders beeindruckend, dies an einem Ort zu erleben, der etwas mit einem macht.
Service
Geburtsstätte. Ottobeuren hat viel mehr zu bieten. Anbei eine Übersicht.
Ort der Einkehr. Das Kloster Ottobeuren bietet schöne Zimmer und einen wunderbaren Garten.
Auf Kneipps Spuren. Wanderwege, die zum Jubiläum passen.