Technik für mehr Spaß am Fahren
Das klingt ein wenig nach dem Slogan eines Automobilherstellers. Erweist sich aber für mich als Hobby-Rennradlerin als eine ausgesprochene Bereicherung. Ich nehme an Kursen innerhalb der Rennradwochen RAD-MARATHON Tannheimer Tal teil, um von Profis Tipps zu erhalten. Dazu gehört neben den Ausfahrten unter anderem der Technik-Kurs von Marcel Wüst. Der ehemalige Profi erweist sich als äußerst witziger und charmanter Lehrer.
Radsport wie eine Sprache lernen
Insbesondere aber nimmt er uns vier Frauen der 20köpfigen Gruppe ins Gebet: frau sollte das Rad auch kennen und nicht alles der Werkstatt oder dem Mann überlassen. Einige Skills sollte jeder und jede schlichtweg beherrschen, das macht das Leben einfacher. Nicht nur bei Pannen, sondern auch bei Gruppenausfahrten und Massenstart wie beim RAD-MARATHON Tannheimer Tal. Und so gelten ein paar Grundregeln, die man übrigens lernen kann wie bei einer Sprache Vokabeln und Grammatik.
Bremsen, Freihändig fahren, Reifen wechseln
Freihändig fahren – geht ganz einfach, indem frau das Gewicht auf den Sattel verlagert, d.h. aufrecht sitzend fahren. Und nicht ängstlich die Hände nahe dem Lenker belassen. So kann man sein Rad übrigens auch lenken: Am Sattel schieben, nicht am Lenker. Die Kurven ergeben sich durch entsprechenden Druck auf den Sattel.
Vollbremsung – üben, nur so lernt man das Rad kennen und verhindert bestenfalls einen Aufprall oder den Sturz über den Lenker. Das Vorderrad beim Fahren hochziehen. Marcel zeigt uns anschaulich anhand zweier Räder, warum: Das eine liegt am Boden, weil in der Gruppe jemand gestürzt ist. Es ist eng, kein Platz zum Ausweichen. Also Vorderrad anheben und gerade auf das am Boden liegende Rad auffahren. Verhindert immerhin, dass man über den Lenker fliegt, die Verletzung fällt beim Sturz geringer aus. „Ich glaube ich fahre lieber doch nicht mit“, denke ich mir dann. Muss aber zugeben, er hat Recht, je besser vorbereitet, desto weniger gefährlich sind Gruppenfahrten. Und noch was sollte frau beherrschen: Bremsen einstellen. Werkstätten stellen oft „hart“ ein. Das heißt die Bremsen reagieren schon beim ersten Anziehen. Wenn man sie aber so einstellt, dass man erst länger zieht, wird zum einen eine Überreaktion verhindert, zum anderen aber kommt es der natürlichen Handkrümmung entgegen und die Hände verkrampfen nicht so schnell bei längeren Abfahrten. Eigentlich gut nachvollziehbar: Marcel fordert uns auf, die Hände am Körper fallen zu lassen und die Hand- und Fingerhaltung anzuschauen. Wir verstehen, was er meint.
Nippelspanner und Kettenpeitsche
Seltsame Begriffe. Dabei zentriert der Nippelspanner das Laufrad und die Kettenpeitsche braucht man, um zum Beispiel Kassette zu reinigen. Dass frau das Ritzel säubert, ist für Marcel auch klar „Ihr seid doch sonst auch selbständig“, fordert er mich auf. Andere Teilnehmerinnen kennen sich bestens aus – ich gebe zu, ich verlasse mich auf meinen Mann. Und wenn ich mal liegen bleiben sollte, dann rufe ich an. Und hoffe, dass der ADFC mich abholt, meinen Mitgliedsausweis habe ich stets dabei.
Radwechsel – auch das übt frau zuhause. Das Vorderrad mit dem Schnellspanner auswechseln, traut sich jede. Fürs Hinterrad hat er einen Tipp: Kette ganz nach rechts, dann fällt das Rad gut raus.
Reifenwechsel – auch üben, je mehr, desto besser. Je nach Schlauch hält Marcel Tipps bereit. Beispielsweise wie man das Rad hält um möglichst wenig Kraft beim Einziehen aufwänden zu müssen.
Ernährung vor dem RAD-MARATHON Tannheimer Tal
Die Männer in der Gruppe fragen nach Ernährung, nach dem besten Ketten-Öl, den Laufrädern, Schläuchen und Werkzeugen. Marcel macht deutlich, dass man auch mit normalem Material bestens auskommt. „Ich bin auch nicht der Beste, da brauche ich auch nicht das teuerste Öl“. Und überhaupt, 5 Kg abnehmen ist billiger und gesünder als teuerstes Material. Andererseits: Ins Hobby darf man gerne investieren. Was die Ernährung angeht: Vor einem Marathon mit 214 km und 3.500 Höhenmetern sollten wir das essen, was wir gewohnt sind. Sonst hat der Körper mit noch mehr als der körperlichen Herausforderung zu kämpfen. Magnesium klar, aber bitte auch vorher. Muskelkrämpfe verhindern könne man am besten mit regelmäßigem Training. Ach ja, mit Alkohol könne man zwar gut einschlafen, aber nicht durchschlafen. Besser also nichts trinken.
Und wie die Ausfahrt zeigt: unsere Einkehr gilt dem Café Rapp in Obermaiselstein, wo eigentlich alle Kuchen essen – ist auch dort mehr als verführerisch.
Rad-Ausstattung – viel Diskussionsstoff
Philosophiert wird auch über Schaltung, Bremsen, Kette, Bereifung und vieles mehr. Sein Tipp: Liebere teurere Laufräder als teurere Schaltung, lieber Felgen- als Scheibenbremsen – warum genau? Marcel als Profi hat so viel Erfahrung, die er gerne teilt. Insofern kann ich nur empfehlen, an den buchbaren Kursen und Stammtischen, die übrigens jeden Abend in einem anderen Bike-Hotel im Tannheimer Tal stattfinden, teilzunehmen.
Der Kölner Marcel und das Tannheimer Tal
Eine jahrelange Kooperation bzw. Freundschaft mit dem Orga-Team, Michael und Evi Keller, holt Marcel ins Tannheimer Tal. Denn eigentlich, so Marcel, taugt ihm das Wetter hier nicht: Über die Hälfte seiner hier verbrachten Zeit sei´s verregnet. Da fühlt er sich auf Mallorca, wo er sein Casa Ciclista betreibt, wesentlich wohler. Insbesondere Kölner folgen ihm gerne – ob nach Spanien oder ins Tannheimer Tal. Was mich persönlich gar nicht wundert. Marcel sprüht vor Energie, ist witzig, kennt die Menschen, geht auf sie bereits nach dem ersten Kennenlernen ein. Egal Franzosen, Oberbayern oder Niederländer, wie in der Gruppe. Seine Offenheit und Sprachgewandtheit (er spricht sechs Sprachen, bedingt durch seine frühere Teamzugehörigkeit in verschiedenen Ländern) kommt auch Kindern und Jugendlichen zugute:
Nach unserem Technik-Kurs im Tannheimer Tal kommen Schüler und Schülerinnen der 7. Klasse. Sie dürfen bei Marcel hinter die Kulissen schauen. Zum Thema Veranstaltungsmanagement oder Sponsoring und natürlich wie man Profi wird.
Die Ausfahrt
Ausfahrten sind fester Bestandteil der Rennradwochen Tannheimer TAl. Wir Hobby-Sportler und Sportlerinnen haben Glück: Unsere Ausfahrt führt Marcel Wüst und Stephan, der Lokal aus Sonthofen. Bei strahlendem Sonnenschein radeln wir los. Gegen Spätnachmittag gewittert es, aber da sind wir schon wieder am Ausgangspunkt, an der TI Tannheimer Tal. Ich muss nur noch ins Hotel radeln und auf den letzten Kilometern erwischt mich dann noch das Gewitter. Ich finde aber einen schönen Unterstand!
Und ich werde belohnt: Nach dem Gewitterregen spannt sich ein Regenbogen übers Tannheimer Tal.
Marcel und das Allgäu
Klar kennt er das Allgäu: Nicht nur weil er 1987 schon am Alpsee seinen Urlaub verbrachte, sondern auch weil er 2007 am Allgäu-Triathlon teilnahm. „Ich musste vier Minuten in die Penalty-Box, weil ich Windschatten gefahren sei. Dabei habe ich meinen Riegel gegessen und wurde überholt“, meint Marcel. Zudem führen die Ausfahrten im Rahmen der Rennrad – Wochen RAD-MARATHON Tannheimer Tal ins Allgäu. Was ihm gut gefällt: Die Allgäuer Alpen stets im Blick, die Pässe und die Kühe!