Allgäuer Emmentaler, Bergkäse, Kässpatzen – für die meisten Menschen endet hier die Vorstellung zu „kulinarisches Erbe im Allgäu„. Doch es gibt so viel mehr. Nicht nur auf den Sennalpen, wo in der Tat der beste Käse handwerklich Tag für Tag hergestellt wird. Und vor allem engen Bezug zum Rohstoffproduzenten, denn dort oben kennt der Senn und die Sennerin jede einzelne Kuh bestens. Mehr Transparenz geht nicht. Doch wir, eine kleine Gruppe interessierter Journalisten, wollen mehr wissen: Uns so besuchen wir Menschen, die noch die alten kulinarischen Schätze kennen. Und sie teils in die Moderne führen.
Die Hintergründe und Entwicklung der Alpwirtschaft erschließen sich über den Themenweg „Alpvielfalt im Gunzesrieder Tal“ mit Einkehr auf der Alpe Oberegg. Überraschend und lehrreich war die Milchverkostung, die wir mit der Milchsommelière Heike Zeller machen durften. Was für alle galt: Man wächst mit dem Geschmack der Kindheit auf. Und so hat jede der sechs verschiedenen Milchsorten auch seinen Fan, von der Vorzugs- bis zur fettarmen H-Milch.
Original Braunvieh im Allgäu in der Arche des guten Geschmacks
Auch im Günztal kennt man die Herde. Hier schützt die Naturschutzstiftung Günztal das Original Braunvieh. Die Kühe sind aber keine Milchlieferanten wie ihre Verwandten oben auf der Alpe, sondern sorgen für Biodiversität entlang dem längsten Bachsystems in Bayern. „2.000 Jahre war die Landschaft eine ganz andere“, erklärt German Weber, eigentlich Bio- und Chemielehrer an einem Gymnasium und in seiner Freizeit als Viehzüchter und Vorstand der Stiftung tätig. „Da wurde nur eingezäunt, was vor dem Fraß der Tiere geschützt werden musste.“ Die Stiftung setzt sich bereits seit 2008 für den Erhalt dieser alten Haustierrasse ein und hat Strukturen geschaffen, dieses hochwertige Fleisch zu vermarkten. Heute ist das Original Braunvieh im Allgäu in die Arche des Guten Geschmacks von Slow Food aufgenommen worden und die Stiftung verkauft es unter dem Markennamen Günztaler Weiderind. Längst vergessene Rezepte für die Verarbeitung gibt´s gratis dazu. Das neue Projekt der Ökomodellregion Günztal ist übrigens der Anbau alter, vor allem regionaler Allgäuer Getreidesorten. Wir durften die erste Ernte von Michael Königsberger probieren: Es gab selbstgebackene Seele und Kuchen aus Babenhausener Vesen – das alte Wort für Dinkel. Auch die Seele ist kulinarisches Erbe.
Allgäuer Kalvill oder Jakob Fischer? Schmecken beide gut!
Das sanft gewellte Westallgäu mit fließendem Übergang zwischen Bayern und Baden-Württemberg besticht durch seine Streuobstwiesen. Einige Landwirte pflegen sie noch, meist sind sie aber den Neubaugebieten oder den immer größer werdenden Traktoren zum Opfer gefallen. Nicht so in Scheidegg. Hier führt der Wanderweg „Vom Allgäuer Kalvill zum Zabergäu“von einer Streuobstwiese zur nächsten. Hier wachsen noch alte Sorten wie Jakob Fischer, ein knackiger, leider nicht lange lagerfähiger Apfel und ebenfalls ein Passagier der Arche Slow Food. Auch ich habe ihn im Garten. Da heißt es schnell essen oder aber verbacken. Und weil man nicht so viel Kuchen essen kann wie der Baum Früchte abgibt, mache ich wie seit jeher gehandhabt, Apfelmus. Das kann man wunderbar konservieren. Unsere kleine Gruppe besucht mit Christian Reichart aus Scheidegg, der wohl beste Kenner seiner Heimat, Hermine Eller: Sie führte jahrzehntelang ein Wirtshaus und ist nun Herausgeberin eines Kochbuchs mit alten Rezepten. Bei Hermine genießen wir Apfelkrapfen, Stopfer mit Apfelmus und Kratzade mit Rotweinpflaumen. Wir drei wissen: Früher stand jeden Tag eine Schüssel Apfelmus auf dem Tisch. Das gab´s einfach zu allem.
Streuobst in der Flasche: die Manufaktur Adrian
Mit Saft und Most hat´s angefangen: Auf jedem Dorf gab´s früher eine Mosterei. Und auch den Essig hat man selbst vergoren. So auch 1840, als der Bäcker Adrian Kiderlen das Recht erhielt, Essig und Wein für die Region herzustellen. Heute wird der Betrieb in 3. Generation geführt und stellt mehr als Essig her. Wir haben die Manufaktur in Waldburg nahe Wangen besucht – und waren überrascht vom Keller! Drüber wird für die Region Apfelsaft, Most, Wein und Essig ais biologisch angebauten Obst produziert. Im Keller darf man feiern, aber vor allem lagern die Fässer.
Weißlacker Risotto und vom Duft der Rose beim Kräuterwirt
Unsere Reise kulinarisches Erbe im Allgäu führt uns zu Axel Kulmus in seinen Landgasthof Rössle. Als erster Kräuterwirt im Allgäu experimentiert er seit 1998 mit Kräutern. Mentor war seinerzeit Tillmann Schlosser vom nahen Kräutergarten artemisia. Heute zieht Axel alle Kräuter selbst im Garten. Egal bei welchem Gang, die Kräuter sind ein Genuss für Augen und Gaumen! Mein persönlicher Favorit: Weißlacker-Risotto. Den Weißlacker, auch ein Passagier bei SlowFood und Allgäuer Spezialität, nehme ich gerne anstelle von Feta. Nun wird er mein Favorit im Risotto! Auch das Dessert war überraschend: Es gab Variationen von der Rose! Unglaublich gut! Andere von uns dachten allerdings eher an Badezusatz. So gelang es Axel, den Duft der Rose einzufangen. Übrigens saßen wir in der Grenzerstube: Einst verlief die Grenze zwischen Bayern und Österreich mitten durchs Wirtshaus.
Enzian, Absinth und Vogelbeere: die Kräuteralpe von Michl Schneider
„Der ist doch gar nicht blau“, meint verwundert Stephan: Dass selbst ein Schweizer den Gebirgsenzian mit blauer Blüte verbindet, erstaunt Michael Schneider. Er betreibt seit rund 20 Jahren auf rund 1.600 m mitten im Naturpark Nagelfluhkette auf seiner Kräuteralpe seine Destillerie. Mit Enzian hat er angefangen – der übrigens gelb blüht und dessen Wurzeln gebrannt werden. „Ende September graben wir. Um unsere Pflanzen zu schützen gehen wir ihnen nur alle 12 Jahre an die Wurzeln. Auch wenn beim Säubern kaltes Wasser verwendet wird, man hat tagelang danach noch warme Hände. So viel Kraft steckt in der Wurzel.“ Sie wärmt also nicht nur als hochprozentigem Schnaps. Der Enzian schmeckt erdig – nicht meins. Da ist mir der Vogelbeer-Likör schon lieber. Mit Prosecco vom Bodensee ergibt dies übrigens einen wunderbaren Allgäu-Apero! Dass der Enzian auch kulinarisches Erbe im Allgäu ist, liegt auf der Hand. Übrigens: Michl destilliert hier oben aus Wermut wie einst Absinth, war früher ebenfalls üblich. Neu hingegen ist sein Steinpilz-Parfum. Ein Destillat, das in Spitzenküchen eingesetzt wird. Für das i-Tüpfelchen.
Steinpilzrisotto vom Bruder, auf der benachbarten Hörmoos-Alpe. Die Fundorte der Steinpilze verrät uns Michl nicht.
Freistil – Constantin Kiehne überrascht
Constantin Kiehne ist konsequent: Sowohl was die Einrichtung mit Allgäuer Holz, vorwiegend Weißtanne, als auch die Verwendung regionaler Produkte in der Küche betrifft: Nachhaltigkeit ist oberstes Gebot. Belohnt wurde er nun mit dem ersten Grünen Michelin Stern im Allgäu! Wir durften beim fünfgängigen Menü – entweder mit Kalb oder vegetarisch, unter anderem Steinpilz vom Grünten, eine bayerische Bouillabaise aus Gunzesrieder Saibling, Lechtaler Lachs- & Bachforelle sowie dem Dessert aus Hagebutte, Stachelbeere, Gries und Haselnusspraliné genießen.
Josef Ellgass in Eglofs: Landwirt, Koch und Hotelier
In Eglofs ist Josef Ellgass der Pionier: Als Landwirt hat er das Dorfwirtshaus seiner Eltern übernommen. Der einstige Stall, der direkt ans Wirtshaus angrenzte, ist unlängst durch einen mit mehrfachen Architekturpreisen ausgezeichneter Hoteltrakt ersetzt worden. Der Stall befindet sich heute am Ortsrand und im Ort und auf der Alpe weiden seine Pinzgauer Weiderinder. Josef ist Mitbegründer der LandZunge und das merkt man: Die Wirtshauskultur und regionale Küche ist fest verankert. Das Wirtshaus hat nichts von seinem ursprünglichen Charakter verloren, der Dorfplatz ist um den behutsamen Hotelbau seines Allgäu Hotel Ellgass erweitert.
Übrigens: Wer Milch nicht nur verkosten will, sondern sich mit ihr wohlfühlen, dem sei die Übernachtung im Hotel Tanneck empfohlen. Sie haben vor zehn Jahren schon auf die heilsamen Inhaltsstoffe der Milch in ihrer Milchwell© gesetzt.