Im 18. Jahrhundert erreicht die Lust an der gestalteten Landschaft auch das Allgäu. Inspiriert von den Gärten Frankreichs lässt der Kurfürst von Sachsen im heutigen Marktoberdorf eine Allee anlegen. Noch heute lädt diese zu Spaziergängen ein. Wir flanieren mit einer Linden-Expertin und erfahren, dass der Gründer der Allee hier gar nicht gegangen ist – er hat sich lieber tragen lassen.
An einem schönem Herbstwochenende wie diesem muss man sich richtiggehend einreihen – in die Flaneure. Sie genießen die noch wärmenden Sonnenstrahlen, die frische Luft und die überraschende Perspektive, die ihnen diese Prachtstraße bietet. Schnurgerade liegt sie vor einem. 1,9 Kilometer lang. 600 Linden flankieren den grobkörnigen Asphalt der Kurfürstenallee von Marktoberdorf. Und Baumspezialistin Monika Mydla, Expertin für die schöne Meile, sagt: „Dies ist der Stolz der Einheimischen.“
Zwischen 1774 und 1780 wurde sie errichtet. Drehen wir die Uhr zurück: Zu jener Zeit war Deutschland ein Flickenteppich aus cirka 300 Klein- und Kleinststaaten. Ein typischer Herrscher war Clemens Wenzeslaus von Sachsen. Er führte 12 Titel, unter anderen Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches, Bischof zu Augsburg, Probst zu Ellwangen, Erzbischof und Kurfürst zu Trier. Dazu gehörte auch das frühere Oberdorf. Die Untertanen daselbst waren hoch erfreut als der Herrscher hier das schon bestehende barocke Jagdschloss zu seiner fürstbischöflichen Sommerresidenz umbauen ließ.
Zwei Hügel sind im Weg und sollen abgetragen werden
Der Fürst liebte die französische Kultur. Die Gemälde, die er von sich anfertigen ließ, zeigen einen hochgewachsenen Mann mit standesgemäßer Perücke. Französisch geprägt ist auch die Architektur seiner Residenzen und sein Hofstaat von bis zu 520 Personen – mit einem mehrköpfiges Ärzte-Team. Ob die ihm empfohlen haben, im Schatten zu wandeln? Dafür ließ er eine Allee anlegen. Damit der Spaziergang nicht zu anstrengend wurde, sollten sogar zwei Hügel abgetragen werden. Doch die Untertanen murrten, ob der aufwändigen Fron.
Als fünf Jahre nach Baubeginn die Hügel noch immer nicht eingeebnet waren, gab der Kurfürst seinen ambitionierten Plan auf. Die Kurfürstenallee im Allgäu steht also auf faszinierende Weise auch für die Diskrepanz zwischen Ambition und Wirklichkeit, für das Nebeneinander von Landschaftsgestaltung und Urwüchsigkeit. Und so kommt es uns hier auch vor: ein knorriger weiser Ort, ein Stück gezähmter Wald.
„Wenzeslaus wollte im Schatten flanieren, deshalb die Linden“, fasst Monika Mydla zusammen. „Er wollte kein Auf und Ab, deshalb die Waagerechte. Später, so die Überlieferungen, ließ er sich aber lieber in einer Senfte über seine Allee tragen.“ Wir schlendern auf eigenen Füßen zwischen den spätsommerlichen Bäumen. Die Sonne tanzt durch die herzförmigen Blätter. Monika Mydla ist Heilpraktikerin, spezialisiert auf Astrologie, Familientherapie und Pflanzenheilkunde. Heute wird sie begleitet von Claudia Maier, die bei Marktoberdorf-Tourismus arbeitet und die Liebe zu den Bäumen teilt. Wir erfahren, dass hier gepflanzten Winterlinden etwa 350 Jahre alt sind. „Sie können allerdings 600 bis 800 Jahre alt werden.“
Die Linde hat viele Talente
Die Linde ist der Baum der Lebenslust und der Wonne. Tanzböden bestehen aus Lindenholz, Marienstatuen, Musikinstrumente. Der Duft der durchschnittlich etwa 60.000 Blüten einer Linde betört, ihr Honig heilt, das Lichtspiel der Blätter bezaubert, und ein Spaziergang zwischen den charakteristischen Stämmen weckt die Kreativität. Man vergisst fast, dass man durch einen gezähmten Wald spaziert. An einem schönen Herbstwochenende in Marktoberdorf.
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