„Bedenket, der Friede ist ein guet Ding und der Streit nützet kein bißle, it im Großen, it im Kleinem.“, ein Satz, der 500 Zuschauer auf der Tribüne im Freilichtmuseum Illerbeuren nachdenklich stimmt. Wir sind im Festspiel Illerbeuren nach Jakob Fickler, das nur alle 25 Jahre inmitten des Museums gespielt wird. Kulturgeschichte, eindrücklich erzählt.
Festspiel Illerbeuren nach Jakob Fickler
300 Jahre nach dem 30-jährigen Krieg und 3 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, hat Jakob Fickler ein Theaterstück geschrieben, das heute so aktuell ist wie nie. War es im 17. Jahrhundert die Pest, welche die Menschen hilflos gemacht hat, war es bis vor Kurzem noch Corona. Und auch der Krieg ist nah an uns herangerückt. Friede ist nicht selbstverständlich. Im Festspiel Illerbeuren spielen 200 Laienschauspieler und -spielerinnen Heimatgeschichte aus dem 17. Jahrhundert nach. Schwedenkrieg und Hexenwahn ist der Untertitel des Freilichttheaters. Was sich so nach Vergangenheit und Geschichte anhört, ist unglaublich aktuell.
1619: Die Kronburg geht an Eutachius von Westernach, sollen sich die Bauern fügen?
Wir sind im Jahr 1619. Ferdinand Erzherzog von Österreich setzt Eustachius von Westernach als neuen Herrn auf Schloss Kronburg ein, das übrigens heue noch von der Familie von Vequel-Westernach geführt wird. Doch die Bauern diskutieren: Wollen sie sich einfach fügen? Sie sind mit hohen Abgaben belastet und wollen frei sein. Sie wissen um die Bauernaufstände 1525 und die daraus resultierenden 12 Artikel, die den Bauern mehr Freiheit bescherte.
„Ob für den da oben es wichtig ist, ob einer lutherisch oder katholisch ist?“
1619 ist das zweite Jahr des 30-jährigen Krieges. Europa ist in zwei Lager gespalten: Die dem Papst treuen Kaiserlichen auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die Reformierten in den Freien Städten, den Schweden zugetan. „Da wuchern und schinden die Herren, da predigen und streiten die Pfaffen und keiner weiß mehr, was recht ist“ So sagt es Ulin, einer der Bauern. Und Endraß ergänzt „Fehlet blos einer, der das Fuir anzündt, dann gnad Gott allen.“ Und weiter „Ob für den da oben es wichtig ist, ob einer lutherisch oder katholisch ist?“ Schon allein dieser Dialog fängt und fesselt.
Schließlich einigt man sich: Man fügt sich der Ordnung, akzeptiert von Westernach und hofft auf Schutz und Friede. Die ersten Vorboten des Krieges kommen: eine aus Prag geflüchtete Frau mit Sohn und Tochter. Sie wird schließlich vom Dorf aufgenommen und hilft der Wirtin als Magd.
„Liegt eure Manneskraft am Boden, hilft euch mein Pulver aus des Stieres Hoden!“
Rhabanus, der Wunderheiler kommt ins Dorf. Sein Heilsversprechen kommt bekannt vor, wenn er Heilung von der Pest mit seinem Wundermittel verspricht oder vermeintliches Pulver aus Stierhoden als Potenzmittel verkauft. „Hört ihr Weiber, kauft meine Salb aus Schweinfett und Bockshornklee, sie mach euch über Nacht zur strahlend schönen Fee“. Die Menschen zahlen bereitwillig. Aufeinmal preschen Reiter im Galopp auf die Bühne. Die Schweden fallen ein, sie plündern und morden. Die Bauern leiden unter den Abgaben, da kommt der Taglöhner Kiederle. Er verrät den Schweden, bei welchem Bauern noch was zu holen ist. Seine Schadenfreude ist groß: Endlich geht´s auch den Bauern ans Geld und nicht nur er muss schauen wo er bleibt.
„Werkt mir all mitnand am Frieden, so werket mir all an der Freiheit“
Die Bevölkerung leidet unter dem von den Herrschern ausgelösten Krieg. Der Amann sendet eine klare Botschaft aus: „Zwei Dinge braucht´s: Einen freien Kaiser und ein freies Volk. Werkt mir all mitnand am Frieden, so werket mir all an der Freiheit.“
Als die Schweden endlich abziehen, folgen die Kaiserlichen. Auf ihnen ruht die Hoffnung, sind sie doch katholisch. Aber auch sie erpressen das Dorf. Und wieder verrät Taglöhner Kiederle die Bauern. Zugleich stachelt er die Bauern auf und weil kräftig getrunken wird, fällt es ihm leicht zu behaupten, Daluska, die geflüchtete Pragerin, sei schuld am Krieg und aller Not und zählt vermeintliche Beweise auf: Sie ist eine Hexe, nur ihr Tod erlöst das Dorf. Nur wenigen Menschen stellen sich gegen die Anfeindungen, werden angegriffen und auch sie stellt man in die Nähe der Hexerei.
Schließlich verurteilt der Hexenmeister Daluska zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Einer kann seine Schadenfreude nicht verbergen: Kiederle.
Die Wunderarznei Theriak aus 300 Kräutern und menschliches Körperfett
Schließlich wütet die Pest. Der Pestdoktor mit Schnabelmaske, Stock und ganz verhüllt gekleidet, versucht Kranke mit Klistier, Aderlass und dem Körperfett von Getöteten zu heilen. Nicht zu vergessen das Wunderheilmittel Theriak, aus 300 Kräutern bestehend ein. Nicht nur ich denke da an Jägermeister. Doch im Falle des Bauern Endraß kann er nicht helfen: Endraß wird separiert und in die Pesthütte zu anderen Todgeweihten getragen. Seine Familie wird 40 Tage und Nächte in Quarantäne geschickt: Sie darf den Hof nicht verlassen.
Ausgangssperre und Maskenpflicht
Die Pest breitet sich aus und die Herrschaft Kronburg erlässt Regeln: So heißt es unter anderem „Niemand gehe unnötig auf die Straße. (..) So jemand mit Kranken und Toten etwas zu tun hat, soll er ein nasses Tuch um den Mund binden, dass die Gefahr der Ansteckung geringer wird. Alle Toten sind vor der Tür abzulegen und sogleich auf dem Pestacker außer der Ortschaft begraben werden (…).
Auf der Bühne werden in der Dunkelheit die Pesttoten eingesammelt. Während eine Stimme ertönt: „Ist eine Zeit kommen, wo Eltern, Kinder und Geschwister voll Entsetzen zurückweichen voneinander, sitzen getrennt auf Speichern und in Kellern (…)“ – nicht nur ich fühle mich an Corona erinnert.
Der anschließende Totentanz (übrigens schön zu sehen in der Anna Kapelle) ist ebenso eindrucksvoll wie die Pestszenen. Aber was wäre ein Theater, wenn es nicht ein Happy End geben würde: Die Tochter der ermordeten Daluska heiratet einen jungen Mann aus dem Dorf. Sie protestantisch, er katholisch. Wie gut, dass in die Zuschauer zum Schluss in das erlösende „Großer Gott wir loben dich“ einstimmen dürfen!
Was 200 Mitwirkende im Alter von zwei bis 82 Jahren auf die Bühne bringen, ist gelebte Kulturgeschichte. Getragen wird das Schauspiel von der anspruchsvollen, mitreißenden Musik, die von der 66köpfigen Musikkapelle unter der Leitung von Markus Musch gespielt wird. Regisseur Richard Aigner, unterstützt von Siegfried Kaulfersch, ist ein Gesamtkunstwerk gelungen. Sie haben nicht nur die Schauspielerschar und das Orchester geführt, sondern auch noch Reitergruppen und Gespannfahrer einbezogen.
Nun ist nach 16 bis auf den letzten Platz ausverkauften Vorstellungen Schluss. Auf der einen Seite sehr schade, auf der anderen Seite verständlich: Alles wurde im Ehrenamt gestemmt! Vielleicht gelingt es, ein Nachfolgeprojekt zu organisieren: In zwei Jahren wird europaweit an 1525 erinnert, als man im Allgäu die 12 Artikel verfasste und der Geist der Freiheit in die Welt zog. Eindrucksvolle Grundlagen sind in Illerbeuren vorhanden.
Ein Blick hinter die Kulissen