Alpenwellness im Allgäu: Ein Haus erfindet sich neu – das „Bio-Hotel Mattlihüs“
Alpen… äh, was bitte? Alpenwellness? Wir wollen wissen, ob es sich wirklich anders anfühlt, wenn man sich zwischen Almen anstrengt oder auf 1000 Metern Höhe entspannt. Wir? Eine Fotografin und ein Autor aus Hamburg, zwei Reisejournalisten, die ihrer Sammlung an Länderpunkten einen neuen hinzu fügen – das Allgäu. Station 6: Das “Bio-Hotel Mattlihüs” ist das erste Holz-100 Hotel Deutschlands…
Ein Hotelportrait von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Es ist ein völlig anderes Gehen, wenn man mit einem Menschen wie Melita durch eine Wiese streift. Ständig bleibt sie stehen, bückt sich, berührt eine Blüte, hält einen Zweig hoch, zupft einen Halm ab, reibt daran, riecht und fordert einen auf, selbst zu riechen. Sie nennt Namen, beschreibt, unterscheidet, erklärt. Schon nach wenigen Metern hat sich die vermeintlich banale Bergwiese in einen lebendigen, vor allem aber in einen völlig fremden Kosmos verwandelt. Und im Kopf eines Großstädters, der sich ja irgendwie immer für was besseres hält – schließlich kommt er in der Metropole klar, dem gefährlichsten Dschungel überhaupt –, reift die Gewissheit heran: Man weiß nichts von der Welt. Gar nichts.
Das ist eigentlich ein guter Start für einen Wellness-Urlaub. Schon bei der Ankunft im Hotel „Mattlihüs“ hieß es vor allem „los lassen“. Wir bogen mit dem Auto beim Kreisverkehr von der Bundesstraße ab und kamen durch Oberjoch, einem der höchsten Dörfer Deutschlands, das vor allem aber ein Dorf ist. Schlängelten uns durch schmale Straßen. Fuhren dann bergan zum Hotel. Zwei Gebäude. Eins ist die Herberge, die an der Station der Seilbahn errichtet wurde, ursprünglich eher ein Gasthaus, das dann mehr und mehr zum Hotel wurde. Das andere ist der Neubau, errichtet nach dem die Seilbahn ab- und an anderer Steile wieder aufgebaut wurde. Jetzt erstmal: Auto parken, Begrüßung, ein Glas Prosecco, die Zimmerkarten.
Man fremdelt immer mit einem fremden Ort. Manche Menschen könnten am ersten Tag in einem unbekannten Hotel auch wieder abreisen. Andere versinken im Smartphone-Autismus, fragen nach dem W-Lan-Zugang (inzwischen, so bestätigen viele Hoteliers, die am meisten gestellte erste Frage neu ankommender Gäste) und lesen Nachrichten. Wieder andere arbeiten sich richtig in das Hotel ein, wollen alles wissen, stellen viele Fragen. Wir gehören zu letzteren.
Der Neubau, den man bei der Anfahrt mit dem Auto sieht, ist ein Holz-100-Gebäude, soll heißen, zu 100 Prozent aus Holz. Selbst bei den Verbindungen wurden keine Stahlschrauben verwendet, keine Leime. Der vermeintliche Altbau wird bereits in dritter Generation von der Familie Geißler bewirtschaftet und wurde kürzlich erst nach baubiologisch neuesten Erkenntnissen saniert. Da beziehen wir unser Zimmer. Ein lichtdurchfluteter Raum, eine Wand mit Zirbenholz verkleidet, es gibt ein geräumiges Bad mit bodengleicher Dusche und einen großen Balkon mit Blick auf die Flanke des 1.876 Meter hohen Iseler. Unter einer nahen Eibe bocken sich einige Ziegen. Und eine kleine Kälberherde der typischen braunen Allgäuer Rinder lassen ihre Glocken baumeln.
Man merkt manchmal gar nicht, dass man an einem besonderen Ort angekommen ist. Man sitzt dann einfach mal bloß da, schaut hinaus, nimmt die Ruhe auf, atmet langsam. Langsamer. Und noch etwas ruhiger. Und denkt nach einigen Momenten, dass man mal hinaus gehen könnte. Nur um dann festzustellen, dass inzwischen viel mehr Zeit vergangen ist als man dachte. Jetzt weiß man, dass man an einem besonderen Ort ist.
Später führt uns Gastgeber Alexander Geißler durch sein Haus. Er macht das gern, zeigt den Gästen einige Zimmer, etwa die schönen Suiten mit Wohngalerie, mit Kunst von Guenter Rauch und mit Badewanne mitten im Raum, die Wellness-Abteilung mit dem großen Ruheraum, von dem man einen schönen Blick auf das Tal hat, den Keller mit der Grauwasser-Aufbereitung, das für die Toiletten benutzt wird, die große Küche, in der auf Gasherden gekocht wird, denn das Mattlihüs ist auch strahlungsarm, und ein Induktionsherd ist wie eine große Mikrowelle. Alexander Geißler sagt das mit viel Ernst. Man sieht ihm an, dass er sich mit diesen Themen intensiv befasst hat. Dass ihn manche wohl auch für seltsam halten. Dass es ihm aber ernst ist. Und selbstverständlich werden in der Küche vor allem ökologische Lebensmittel aus der Region verarbeitet.
Im Restaurant genießen wir den Salat, freuen uns auf Semmelknödel mit Waldpilzrahm, trinken einen Zweigelt aus ökologischem Landbau. Und unterhalten uns über die Vorbehalte, die ein Hotelier wie Alexander Geißler hat überwinden müssen. Als er die Räume nach der Harmonielehre des Feng Shui gestaltete. Als er erzählte, es gebe fünf Elemente – Erde, Metall, Wasser, Holz und Feuer. Als er für den Bau vor allem Holz verwendete, das zu bestimmten Mondphasen geschlagen wurde. Als er die Gästezimmer mit Lehmfarben streichen ließ. Dabei war es eine kluge Entscheidung, das Hotel, das plötzlich ohne Geld bringenden Lift da stand, neu zu erfinden. Und schon am Ende des ersten Tages mag man sich die Maulereien der Kritiker nicht einmal mehr vorstellen. Das Essen ist hervorragend. Das Bett beschert uns famosen Schlaf. Was will man mehr?
Nach der Kräuterwanderung mit Melita erhält Susanne eine Massage, bei der heiße Jade-Steine angewendet werden, sie tragen die Wärme tief in den Körper. Ich werde vor allem kräftig durchgewalkt, lasse mir die Radfahrer-Schenkel weich kneten. Typisch SIE und ER. SIE sucht das Wohlgefühl, den Seelenmoment. ER findet über den Kampf zur Ruhe. Die Anwendungen werden sehr gut ausgeführt. Und später liegen wir im großen Ruheraum. In Oberjoch gehen die ersten Lichter an, das Dorf funkelt vor dem dunklen Scherenschnitt des Berges. Und wir fühlen uns großartig.
Wenn wir Momente definieren müssten, die „unsere perfekten Alpenwellness-Momente“ wären, dann gehörte dieser dazu. Und wir unterhalten uns flüsternd über das, was Melita heute während der Kräuterwanderung erzählt hatte: Seit drei Jahren heile sich die fünfköpfige Familie vor allem mit Wildkräutern. Seit drei Jahren seien sie nicht mehr richtig krank gewesen. Es gibt wirklich noch verdammt viel, von dem wir nichts wissen.
Natürlich wohnen. Alles Wissenswerte über das „Bio-Hotel Mattlihüs“ findet man auf der Website des Hauses in Oberjoch.
Das höchste Dorf Deutschlands? Uns sind solche Superlative eigentlich egal, erst recht wenn sie umstritten sind. Hier gibt es alle Infos zu Oberjoch.
Perfekt für Nachtschwärmer. An nur wenigen Orten in Deutschland kann man so gut Sterne gucken.
Ich bin schwer beeindruckt, was Melitta und Alexander für ein vorbildliches Öko-Hotel geschaffen haben. Das Ganzheitliche Ziel zu verfolgen, angefangen vom mondgeschlagenen Bauholz bis zum Einkauf der regionalen Nahrungsmittel in Bio Qualität, das erfordert Mut, Weitblick, Investitionsbereitschaft.
Euch Beiden ist es gelungen ein Vorzeigeobjekt auf die Beine zu stellen.
Ich wünsche euch viele Gäste, die euer Angebot schätzen, und begeistert davon sind.
Lieber Franz Kinker,
sorry für die späte Rückmeldung, aber wir waren intensiv unterwegs und hatten nicht genug Muße und Internet-Zeit, um zu antworten: Ja, es steckt viel gutes Engagement in diesem Haus.
Herzliche Grüße
Susanne&Dirk
Es ist wahr – ein Haus zum Sterne gucken, ein Haus für den absoluten Tiefschlaf, den manche vermissen, ein Haus zum Wohlfühlen.
Liebe Simone,
genau: absoluter Tiefschlaf – auf Betten, die ganz ohne Metall auskommen, und im hoteleigenen Shop kann man inzwischen die Kissen kaufen!
LG
Susanne&Dirk
Ein interessanter Bericht über ein schönes Haus mit wohltuender Atmosphäre und lieben Gastgebern. Vielleicht noch als Nachtrag; die Bilder von Guenter Rauch als besonderes Schmankerl in den Zimmern im neuen Flügel. Mehr Info: http://www.alpinien.de
Lieber Günter Rauch,
wie konnten wir nur vergessen, darauf hinzuweisen: Und in den Zimmern hängt Kunst vom Rand der blauen Berge… mit Arbeiten von Günter Rauch. Werden wir noch einfügen!
Danke für den Hinweis.
Beste Grüße
Susanne&Dirk