Wiege der Gastfreundschaft am Weg über die Alpen: Füssen
Wir machen uns auf den Weg, erkunden die Städte des Allgäus in Rund- und Spaziergängen, Betrachtungen und Gesprächen. Wir? Eine Fotografin und ein Autor aus Hamburg, zwei erfahrene Reisejournalisten, die schon viele Stempel und Visa in ihren Reisepässen haben, und ihrer Sammlung an Länderpunkten einen neuen hinzufügen – das Allgäu. Ein Stadtportrait von Susanne Baade (Fotos) und Dirk Lehmann (Text)
Man weiß, dass man einen besonderen Ort erreicht hat, wenn man plötzlich vor einem thailändischen Mönch steht, der von seiner ersten – und wohl auch einzigen – großen Reise erzählt. Seit zwei Monaten ist der Mann aus Chiang Mai in der Welt unterwegs, war in Russland und China, in Dänemark, Italien und in Tschechien, hat zuletzt Prag besucht und Berlin. Er würde gern noch in die USA, weiß aber nicht, ob er es schafft, auch würde das Geld wohl nicht reichen. Und jetzt steht er hier. In Füssen. Im Innenhof des Hohen Schlosses mit seiner Illusionsmalerei.
Das gibt einem Norddeutschen dann doch zu grübeln, dass Füssen ganz oben steht auf der bucket list eines thailändischen Mönch. Was hat ihm hier gefallen? „Natürlich die Schlösser. Sehr schön. Wie im Märchen.“ Besonders beeindruckend seien aber die Menschen. „Sehr freundlich hier.“ Wie bestellt kommt eine Familie vorbei. Alle vier sehen verdutzt den Mönch an, der in seiner leuchtend goldbraunen Kutte vor der Perspektiven-Fassade steht. Die Erwachsenen rufen: „Grüß Gott.“ Der Mönch lächelt und sagt auf Englisch zu mir: „Pass auf, ich habe extra ein wenig Deutsch gelernt.“ Eine neue Freundin habe ihm das beigebracht, er habe sie gestern kennen gelernt, wohne bei ihr und ihrer Familie. Lächelnd ruft er jetzt: „G’us Gaht.“
Erst hielten wir es für eine Ansammlung von Zufällen – der Mönch, die Familie, die Geschichte von der neuen, offenbar sehr gastfreundlichen Freundin. Doch dann folgen wir einer Stadtführerin in die Fußgängerzone Füssens und erfahren, dass genau hier einst die Via Claudia Augusta verlief. Die Straße wurde in der Herrschaftszeit des römischen Kaisers Augustus angefangen und unter Claudius fertig gestellt, so dass die Strecke durchgängig mit Fuhrwerken befahren werden konnte. Lange war es die wichtigste Verbindung zwischen der Po-Ebene und dem Alpenvorraum. Je nach Reise-Ausstattung dauerte es bis zu zehn Tage und mehr, auf der Via Claudia Augusta die Alpen zu überqueren. Heute ist die Strecke vor allem bei Radfahrern beliebt, die sich lustvoll über die Berge kurbeln. Und – je nach Form – etwa genau so lange brauchen.
Früher war Füssen die letzte Stadt, die die Reisenden sahen, bevor sie sich auf den Weg über die Alpen machten. Oder es war die erste Stadt, die sie erreichten, wenn sie über die Alpen kamen. In Füssen hat man sich für die Ferne gestärkt oder auf die Heimat gefreut. Es entstanden Herbergen und Hotels, Gaststätten und Handelsorte. Und in Füssen kamen Trends an. Es war eine moderne Stadt. Noch heute spürt man die über Jahrhunderte gewachsene Kernkompetenz: Reisende aufzunehmen. Füssen ist eine Wiege der Gastfreundschaft.
Ein schöner Tag. Die Sonne scheint. Wir schnüren durch die Innenstadt. Und dann durch einen Eingang in einen kleinen Innenhof. In einer Werkstatt werden Gürtel hergestellt, Westen, Schuhe, Lederwaren aller Art. In einer anderen finden wir eine Vielzahl an Messern. Wir erfahren, dass diese Manufakturen einst typisch waren für Füssen. Kleine Werkstätten, in denen hergestellt oder repariert wurde, was man für die Reise brauchte.
Für uns geht es hinauf auf den Felssporn, der die Stadt überragt. Das darauf errichtete Hohe Schloss ist das Wahrzeichen Füssens und doch auch Zeichen für eine Besonderheit Füssens, es wurde errichtet von den Augsburger Fürstbischöfen. Diese Nähe von weltlicher und geistlicher Macht prägt die Stadt am Fluss Lech. Der aus der Schweiz stammende Benediktinermönch Magnus hat sich hier einst nieder gelassen. Dabei war Magnus nicht bloß ein Suchender, sondern vor allem ein Drachenbezwinger. Auch weil er und sein Glauben stärker waren als die bösen Monster im Wald, gewann der Geistliche immer mehr Einfluss in der Stadt.
Mehr und mehr Mönche siedelten sich hier an, bald entstand ein Kloster. Es hat sich über die Zeiten zum eigentlichen Machtzentrum der Stadt entwickelt. Und wenn man heute auf dem Felssporn mit dem Hohen Schloss steht, geht der Blick über die Dächer der Stadt, davon gehörten einst viele zum Kloster. Lässt man den Blick weiter schweifen, geht der über den Fluss Lech und weiter in eine nicht enden wollende Waldlandschaft. Grün, dunkel, undurchdringlich. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Welt den Menschen damals nicht ganz geheuer war. Und erst wenn man eine Weile darüber nachdenkt, erkennt man den klugen Marketing-Trick: Wer seinen Besuchern glaubhaft machen kann, dass es da draußen ganz schön garstig zugeht, der wird so manchen Wanderer dazu bewegen, länger in der Stadt zu bleiben…
Dabei ist das gar nicht nötig. Wir lassen uns zur besten Eisdiele der Stadt führen, stehen später in der Stube eines Bio-Bäckers und beenden einen aufschlussreichen Tag im Restaurant vom „Hotel Hirsch“. Es gibt Salat mit überbackenem Ziegenkäse und Gulasch vorm Hirsch, dazu ein großes Helles. Wir fühlen uns gestärkt, bereit um uns auf zu machen in die Wildnis, von der wir wissen, dass es da keine Drachen mehr gibt. Doch eigentlich gefällt es uns viel zu gut hier. Wir bestellen noch ein Helles.
Mehr erfahren: Die Website Füssens informiert über die Stadt und ihre touristischen Angebote.
Mehr erleben: Wer sich auch auf die alte Römerstraße machen will, erfährt hier mehr.
Mehr genießen: Unser Favorit ist das Eiscafé Hohes Schloss, hier findet man weitere Tipps.